Zur Ausbildung im Heer
Leserbrief veröffentlicht in Das Schwarze Barett No. 38
25. Oktober 2007
Liebe Panzerkameraden,
zu der außerordentlich gelungenen Darstellung des Schwerpunktthemas des
letzten Heftes kann man der Redaktion nur gratulieren. In der Tat gibt
der Ausbildungsstand im Gefecht der verbundenen Waffen Anlass zur Sorge.
General Trull bringt in seiner kritischen Analyse die Dinge auf den
Punkt. Ich kann ihm nur beipflichten.
Offenbar sind die Schöpfer der neuen Streitkräftekategorien demselben fundamentalen Irrtum aufgesessen wie Christoph Bertram vor einigen Monaten in seinem Zeit-Artikel mit der Überschrift „Stabilisieren, nicht kämpfen“. Dieses Postulat ist ein Widerspruch in sich selbst. Denn Gefährdungen der Stabilität kann man im Extremfall eben nur mit Gewalt begegnen, sonst bräuchte man für diese Aufgabe keine Streitkräfte. Deshalb müssen selbstverständlich auch Stabilisierungskräfte zum Kampf befähigt sein, wie es der Inspekteur des Heeres in seinem Beitrag überzeugend dargelegt hat. Wer sie nicht entsprechend ausrüstet und ausbildet, handelt verantwortungslos. Diese Erkenntnis ist in den Ausbildungsweisungen des Generalinspekteurs nicht angemessen berücksichtigt. Auch der Umstand, dass Luftwaffen- und Marineoffiziere zur Führung von Einsätzen der Landstreitkräfte eingeteilt wurden, spricht nicht dafür, dass man an der Spitze der Bundeswehr die Herausforderungen und Risiken solcher Einsätze erkannt hätte.
Das recht positive Bild, das General Trull am Ende seiner Ausführungen mit Blick auf die weitere Entwicklung im Bereich der Ausbildung zeichnet, scheint mir dem pflichtgemäßen Optimismus geschuldet, den man als Truppenführer natürlich vermitteln muss. Die Fakten sprechen nicht dafür. Dass nunmehr auch die einzige mechanisierte Eingreifdivision des Heeres regelmäßig in die Stabilisierungsaufgaben einbezogen werden soll, ist wohl unvermeidlich, weil sonst diese Aufgabe für die Truppe nicht mehr zu schultern wäre. Die dadurch für alle erhöhte Zeitspanne zwischen den Einsätzen schafft natürlich auch für die Ausbildung im Gefecht der verbundenen Waffen etwas mehr Freiraum. Zugleich laufen wir aber Gefahr, dass nicht einmal mehr in diesem Großverband ein Ausbildungsstand erreicht wird, wie er für das Bestehen in einem modernen Gefecht unumgänglich ist. Als ehemaliger Kommandeur einer KRK-Division weiß ich, wovon ich rede.
Auch wenn die Redaktion gebeten hatte, sich in den
Diskussionsbeiträgen auf Ausbildungsfragen zu beschränken, komme ich
nicht umhin festzustellen: Das eigentliche Problem für die
Ausbildung liegt – ich bitte um Nachsicht – in der Struktur.
Solange Verbände zum Umfang der Stabilisierungskräfte rechnen, die
aufgrund ihrer Ausrüstung für eine solche Aufgabe gänzlich ungeeignet
sind, erhöht sich logischerweise die Einsatzfrequenz bei den übrigen
Kräften. Denn ein signifikanter Teil der Eurofighter, Tornados (nicht
nur der Aufklärungsversion!), Patriots und U-Boote ließ sich im
vorgegebenen Umfang der Eingreifkräfte nicht mehr abbilden und wurde
deshalb den Stabilisierungskräften zugerechnet. Das durch diese Kräfte
gebundene Personal fehlt in den Einsätzen und erhöht die Belastung vor
allem für das Heer, aber auch für die Streitkräftebasis und den
Sanitätsdienst. Dadurch ist der ursprünglich angestrebte „Faktor 5“, der
den Einsatzrhythmus bestimmen sollte, nicht mehr zu halten – mit den
unvermeidlichen Folgen auch für die Ausbildung.
Der im Heft 37 von General Trull beschriebene Ansatz, den das Heer in der Ausbildung gehen will, ist aus meiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen lässt sich damit eine grundlegende Verbesserung aus den genannten Gründen allerdings nicht erzielen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Jürgen Ruwe
Generalleutnant a.D.