Generalmajor a.D. Heinz-Günther Guderian
Traueransprache des Amtschef Heeresamt, Generalmajor Jürgen Ruwe, anlässlich der Beisetzung am 08. Oktober 2004 in Bonn
Liebe Angehörige, verehrte Trauergemeinde!
Mit dem Tod Heinz-Günther Guderians hat nicht nur die Familie
Guderian einen treusorgenden Familienvater verloren, sondern auch die
Bundeswehr, das Deutsche Heer im Besonderen, einen herausragenden
Offizier und General. Darüber hinaus sind hier viele versammelt, die den
Verlust eines liebenswerten Menschen beklagen, dem sie dienstlich in der
Bundeswehr, teilweise auch in der Wehrmacht eng verbunden waren.
Aufgrund des hohen Lebensalters, das GM a.D. Guderian erreicht hat, sind
dies kaum noch in etwa gleichaltrige Kameraden, sondern überwiegend
ehemalige Untergebene, die einem hochgeschätzten Vorgesetzten heute das
letzte Geleit geben.
Ich danke Herrn Pfarrer Jochum und der Familie Guderian sehr herzlich,
dass ich als Amtschef des Heeresamtes, der letzten dienstlichen
Wirkungsstätte General Guderians, an dieser Stelle sein militärisches
Wirken würdigen darf.
Naturgemäß fällt mir das nicht ganz leicht, weil das Ende seiner
aktiven Dienstzeit bereits mehr als 30 Jahre zurückliegt. Das ist i.a.
schon eine Aufgabe für den Historiker. Darüber hinaus gibt es aber auch
noch einige Zeitzeugen und Weggefährten. Ich danke vor allem General
Beckmann für seine hilfreichen Informationen. Immerhin muss ich hier
nicht ganz nach Papierlage vortragen, denn ich bin General Guderian in
den vergangenen Jahrzehnten doch häufiger persönlich begegnet und selbst
in seiner aktiven Dienstzeit einige Male - zunächst als Fahnenjunker in
seiner damaligen Brigade und später als junger Offizier mehrfach bei
einigen der berühmten Panzerabende.
Dabei war es beeindruckend, einen hohen Offizier in dem fast familiären
Umfeld der Offiziere der Panzertruppe als Menschen zu erleben – nicht
zuletzt beim geselligen Teil, der ungleich wichtiger schien als die
obligatorischen Vorträge. Diese Veranstaltungen waren – auch mancher von
Ihnen mag sich daran erinnern - häufig von großer Fröhlichkeit geprägt,
an der General Guderian in seiner geselligen Art einen entscheidenden
Anteil hatte.
Mit diesem Hinweis auf die persönlichen Begegnungen beziehe ich mich allerdings eher auf den Abschluss einer mehr als 40-jährigen militärischen Dienstzeit. Sie endete 1974 und war lediglich nach Ende des Krieges kurz unterbrochen. Der Anfang lag im Jahr 1933 als sich Heinz-Günther Guderian nach seiner Reifeprüfung in Berlin entschloss, den Offizierberuf einzuschlagen - wie sein Großvater, der preußischer General war, und wie sein Vater, dessen bekannteste militärische Maxime heute jedermann im Mund führt – der Bundeskanzler eingeschlossen.
Die Tatsache, dass Heinz-Günther Guderian seine Laufbahn in der Wehrmacht in der Truppengattung begann, die in ihrer Struktur und Konzeption von seinem Vater nicht nur maßgeblich geprägt, sondern gleichsam geschaffen worden war, scheint ihn nicht gehemmt zu haben. Er ist seinen Weg gegangen – und das war ein sehr erfolgreicher Weg. Dies wurde spätestens deutlich, als der OLt Guderian als Regimentsadjutant beim PzRgt 35 für seine Tapferkeit und seine Leistungen im Polenfeldzug zunächst das Eiserne Kreuz II. Klasse und wenig später das EK I erhielt.
Im anschließenden Westfeldzug wurde OLt Guderian zweimal
verwundet, ließ sich jedoch nicht davon abhalten, beide Male bei seiner
Truppe zu bleiben. Der Zeit im Regiment folgten unterschiedliche
Verwendungen in Stäben, vor allem jedoch die Generalstabsausbildung in
Berlin. Auch die ersten Generalstabsverwendungen auf Divisions-, Korps-
und Armeeebene waren im Krieg natürlich deutlich kürzer als im Frieden
gemeinhin üblich.
Als 1. Generalstabsoffizier bei der 116. PzDiv, der sog.
Windhunddivision, wurde der Major i.G. Guderian im August
1944 in Frankreich mit seiner Division im Kessel von Falaise von weit
überlegenen Kräften eingeschlossen. In Abwesenheit des
Divisionskommandeurs übernahm der junge Generalstabsoffizier die
Führung. Er brach mit den Resten der Division unter abenteuerlichen
Umständen und ohne einen einzigen Kampfpanzer aus dem Kessel aus und
bewahrte sie damit vor der Vernichtung. Für diese herausragende Leistung
erhielt er – im übrigen aus den Händen seines Vaters – im Oktober 1944
das Ritterkreuz. „Das letzte Kriegsjahr im Westen“ – so der Titel - hat
er später in beeindruckender Weise literarisch aufgearbeitet.
Bei Kriegsende geriet Heinz-Günther Guderian, inzwischen OTL i.G., in amerikanische Kriegsgefangenschaft und verblieb dort – teilweise gemeinsam mit seinem Vater – bis Oktober 1947. Nach Entlassung aus der Gefangenschaft war er einige Jahre in der Organisation Gehlen tätig, der Vorläuferorganisation des Bundesnachrichtendienstes, ab 1956 als Offizier der neu aufgestellten Bundeswehr. Zwei Jahre später wirkte er als Kommandeur des PzBtl 3 (des späteren PzBtl 174) in der Truppe am zügigen Aufbau des Heeres mit.
Seine Erfahrungen konnte er anschließend zunächst als Oberst i.G. und Referatsleiter, kurze Zeit später als Unterabteilungsleiter für „Organisation des Heeres“ im Bundesministerium der Verteidigung einbringen. In dem üblichen Wechsel zwischen Stabs- und Truppenverwendungen übernahm Heinz-Günther Guderian – inzwischen zum Brigadegeneral befördert – die Führung der Panzerbrigade 14 in Koblenz. Hier war er für vier Jahre – das kann ich nun, wie eingangs erwähnt, aus eigenem Erleben beitragen - ein hochanerkannter Truppenführer.
Als Panzermann hat er - natürlich mit großer Genugtuung – zum Ende seiner Kommandeurzeit die Einführung des Kampfpanzers Leopard erlebt, der einen Quantensprung in der Ausrüstung der Panzertruppe darstellte. Die Weiterentwicklung dieser Truppengattung wurde dann ab 1967 seine Hauptaufgabe als Inspizient der Panzertruppe im Truppenamt, dem späteren Heeresamt. Dabei hatte er keineswegs nur die materiellen und technischen Aspekte im Blick. Vielmehr kam es ihm darauf an, in der Ausbildung und Erziehung fortschrittliche Prinzipien zu verwirklichen, ohne dabei wertvolle Erfahrungen über Bord zu werfen.
Bereits nach einem Jahr erhielt er unter Beförderung zum Generalmajor als General der Kampftruppen die Verantwortung für die Weiterentwicklung und die Ausbildung aller Kampftruppen. In dieser Funktion unterstanden ihm auch die entsprechenden Schulen des Heeres. Diese Aufgabe nahm General Guderian bis zu seiner Zurruhesetzung im März 1974 mit großer Passion und großem Erfolg wahr. In diese Zeit fällt auch der Beginn der Entwicklung des Leopard 2, des z.Z. besten Kampfpanzers, der heute nicht nur im Deutschen Heer, sondern von vielen Verbündeten genutzt wird.
Für seine überragenden Verdienste um die Bundeswehr und um unser Land erhielt General Guderian in dieser Verwendung das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
General Guderian war nicht nur ein begnadeter militärischer Führer und Gestalter. Er überzeugte im Krieg wie in all seinen Verwendungen in der Bundeswehr durch seine beeindruckende Persönlichkeit. Er hatte stets klare Vorstellungen von dem, was er wollte, und vermittelte sie ebenso unmissverständlich nach oben wie nach unten – aber häufig entschärft durch eine gute Portion Humor, gelegentlich auch Ironie oder Selbstironie.
General Guderian war ein Mensch, der von christlichen Wertvorstellungen geprägt und von klaren Überzeugungen getragen war – ein Mensch, der in sich ruhte und bei allem Pflichtbewusstsein nie vergaß, dass es neben dem Dienst auch noch anderes gab. Das Angebot zu einem höheren Truppenkommando lehnte er aus familiären Gründen ab. Das ehrt ihn. Wie seiner Familie war er auch seinen Soldaten zugetan. Seine Überzeugung war: Führen kann nur der, der die Menschen mag. Die Fürsorge für die ihm anvertrauten Soldaten war ihm ein hohes Gut. Dazu gehörte, sie optimal auszubilden und auszustatten.
Mit seiner Zurruhesetzung sind die Verbindungen zu den Menschen, die ihm dienstlich nahe standen, nicht erloschen. Er selbst pflegte diese Kontakte und war auch als Pensionär ein häufiger Gast der schon erwähnten Panzerabende im Heeresamt und beim Tag der Panzertruppe in MUNSTER. Ich selbst habe bei solchen Veranstaltungen in vielen Gesprächen von seiner Erfahrung und Lebensklugheit profitiert. Dabei war er auch im hohen Alter von erstaunlicher geistiger Frische – auch wenn er mit seiner angeblichen Vergesslichkeit immer ein wenig kokettierte.
Die jährliche Veranstaltung am Ehrenmal des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein zur Ehrung der Toten der Kriege und der Einsätze der Bundeswehr hat er kaum jemals versäumt. So manches Mal habe ich ihn dort erlebt – unbeeindruckt von oftmals scheußlichem Herbstwetter. Bei einem der letzten Male stand ich neben ihm während des schier endlosen Defilees der Kränze und habe ihm etwas besorgt empfohlen, sich doch zu setzen, es werde ihm keiner übel nehmen. „Soweit ist es mit mir noch nicht“, beschied er mich unmissverständlich - und so stand er weiter - unbeirrt, von kleiner Gestalt, aber aufrecht wie eh. Wie er anderen die Reverenz erwiesen hat, wollen wir heute ihn ehren.
Mit seinem Tod haben wohl alle, die hier versammelt sind, einen
schmerzlichen Verlust erlitten. In erster Linie ohne Zweifel die
Familie, aber auch die Freunde, Bekannten, Kameraden und die Bundeswehr
als Organisation.
An dieser Stelle gilt es aber auch bedenken, dass uns Heinz-Günther
Guderian in seinem langen Leben in vielfältiger Weise bereichert hat.
Die Entwicklung des Deutschen Heeres, der Kampftruppen und der
Panzertruppen im besonderen, hat er in wichtigen Bereichen mitgestaltet
– mit Wirkungen weit über seine aktive Dienstzeit hinaus.
Vielen war er ein hochgeschätzter lebenskluger Gesprächspartner, ein
verehrter Vorgesetzter, vielen ein guter Kamerad.
Das Deutsche Heer, das Heeresamt und alle, die ihn gekannt haben, werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren!