DWT-Forum „Vernetzte Operationsführung“ 2005
Vortrag des Stellvertreters des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Jürgen Ruwe, anlässlich des DWT-Forums „Vernetzte Operationsführung“ am 12. Oktober 2005 in Bonn
Meine Damen und Herren,
zum Ende einer solchen Veranstaltung vorzutragen, hat natürlich Vor- und
Nachteile. Eigentlich spricht viel für die Annahme, es sei schon alles
gesagt, wenn auch noch nicht von jedem. Deshalb habe ich keine allzu
große Lust, diesem Motto zu folgen und einzustimmen in den Mainstream
der Überzeugungen zu unserem Thema. Schon aus methodischen Gründen muss
man ja um diese Uhrzeit gegen Ende einer solchen Veranstaltung bemüht
sein, das eine oder andere Unerwartete zu bieten.
Daher will ich im ersten Teil meines Vortrags die mögliche Euphorie über den neuen Ansatz in der operativen Führung von Streitkräften zunächst einmal etwas bremsen und ein wenig Wasser in den Wein der Vernetzten Operationsführung gießen. Damit Sie dann aber nicht frustriert oder gar in tiefer Depression nach Hause gehen müssen, möchte ich Ihnen im zweiten Teil aufzeigen, was wir im Heer tun, um dennoch an der Spitze des Fortschritts in diesem Bereich zu marschieren.
Damit Sie nicht gleich zu Beginn einen falschen Eindruck
von dem bekommen, was ich Ihnen vortragen möchte: Ich habe keinen
Zweifel, dass der Ansatz, den wir unter dem Stichwort „Vernetzte
Operationsführung“ verfolgen, richtig ist. Ich glaube auch, dass wir in
diesem Bereich durchaus vor einem Quantensprung stehen. Ich beobachte
allerdings mit einer gewissen Sorge, dass wir nicht immer mit dem
nötigen Realitätssinn an die Dinge herangehen.
Einige Nationen neigen ja dazu, einen neuen Ansatz immer gleich
ideologisch zu überhöhen. Dem müssen wir nicht unbedingt folgen. Ich
jedenfalls halte es lieber mit dem britischen Pragmatismus. Ich hoffe
mal, Sie nehmen mir das nicht übel.
Als ich vor einigen Monaten bei einem ähnlichen Symposium zu diesem Thema gesprochen habe, war der Veranstalter von meinen Ausführungen nicht gerade begeistert. Das konnte mich allerdings nicht überraschen; denn ich hatte mich über die Bereitschaft der Zuhörer verwundert gezeigt, so hohe Teilnehmergebühren zu entrichten; ich selbst sei nämlich von solchen Tagungen ob der Esoterik vieler Beiträge eigentlich immer ziemlich enttäuscht gewesen, auch wenn der Mangel an Substanz durch bunte Präsentationen, an denen fleißige Referenten ohne Zweifel lange gefeilt hätten, häufig übertüncht worden sei. Und ich hatte auch gebeten, nicht zu hohe Erwartungen an meinen Vortrag zu stellen, denn der sei in ähnlicher Weise entstanden.
Zur Strafe für diese böswilligen Bemerkungen hat man meinen Vortrag in dem Resümee der Veranstaltung gar nicht mehr erwähnt. Hier bei der DWT ist das natürlich ganz anders; und ich bin auch sicher, dass das Niveau der bisherigen Beiträge dem hohen Anspruch dieser Gesellschaft gerecht wurde, deren Mitglied ich bin und deren Präsidium ich einmal angehören durfte. Ich freue mich jedenfalls über die Einladung, hier zu sprechen.
Aber nun zur Sache:
Wie angekündigt, möchte ich zu Beginn zunächst einmal auf einige
Missverständnisse hinweisen, die häufig mit dem heutigen Thema verbunden
sind.
Das erste ist die Annahme, Transformation sei hauptsächlich die
Umgestaltung der Streitkräfte hin zu Vernetzter Operationsführung. Dies
wäre aus meiner Sicht wahrlich eine allzu starke Verengung.
Transformation muss alle Veränderungen des gesamten Umfeldes
berücksichtigen, um die Streitkräfte auf ihre gegenwärtigen und
zukünftigen Aufgaben hin zu optimieren. Natürlich lässt sich unter
diesem Ansatz vieles subsumieren.
Mir wurde vor wenigen Tagen aus einer Diskussionsrunde berichtet, in der sich einer der höchsten Offiziere, die in der NATO mit diesem Thema befasst sind, offenbar in erster Linie auf die gepanzerten Kampftruppen eingeschossen hatte. Die gehörten ja nun bekanntlich zur Legacy Force, also gewissermaßen zu den Streitkräften der Antike. Der vorsichtige Hinweis, vielleicht benötige man solche Kräfte in high intensity operations und in einem robusten Umfeld für peacekeeping doch auch künftig noch, zumindest in einem gewissen Umfang, schien ihn wenig zu beeindrucken. Auf die Frage, was er denn im Rahmen der Transformation für besonders wichtig erachte, habe er mit dem Brustton der Überzeugung und einer Portion Verwunderung über so viel Ignoranz geantwortet: anti-submarine warfare, of course.
Ich muss gestehen, dass mir das bisher noch nicht so ins Auge gesprungen war. Aber dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Das ich nicht selbst darauf gekommen war. Ich hatte mich durch all den Trouble, den die Amerikaner und ihre Verbündeten im IRAK und den wir selbst in Afghanistan haben – Gott sei Dank in geringerer Intensität –, einfach ablenken lassen von den wirklichen Erfordernissen der Zukunft. So kann es gehen. Nun weiß ich aber wenigstens, wo wir hinmüssen. Um keinen falschen Verdacht aufkommen zu lassen: Es war schon ein Marineoffizier, den ich zitiert hatte, aber keiner der Bundeswehr.
Nein ernsthaft: Wenn wir die letzten zehn Jahre Revue passieren lassen, so erzwingt der Charakter unserer derzeitigen Einsätze in der Tat in vielerlei Hinsicht einen Paradigmenwechsel. Ich greife hier nur einen heraus. So hat z.B. die Komponente „Schutz“ für unsere Soldaten einen neuen Stellenwert bekommen. Natürlich hat der Schutz unserer Soldaten schon immer eine Rolle gespielt. Zur Verteidigung des eigenen Landes galt dann aber im Zweifelsfall: „Wirkung geht vor Deckung!“ Das gilt in einer Stabilisierungsoperation am Hindukusch nicht in gleichem Maße. Risiken für Leib und Leben unserer Soldaten lassen sich natürlich auch bei solchen Einsätzen nicht vermeiden; sonst bräuchten wir keine Soldaten dorthin zu schicken. Aber wir haben die Verpflichtung, alles zu tun, um solche Risiken auf ein vertretbares Maß zu begrenzen. Das ist der Grund, warum wir z.B. in Zukunft bei der Ausstattung der Einsatzkräfte mit ungeschützten Fahrzeugen nichts mehr anfangen können. Und deshalb haben wir schon heute eine beträchtliche Zahl an gut geschützten Fahrzeugen im Einsatz - übrigens in vielen Fällen deutlich besser geschützt als z.B. die der Amerikaner.
Den Schutzbegriff fassen wir allerdings nicht zu eng; denn der Schutz unserer Kräfte wird natürlich auch durch effektive Aufklärung und durch gute Führung erreicht. Und so sind wir dann über diesen kleinen Abstecher doch wieder bei der Vernetzten Operationsführung angelangt, die uns zweifelsohne auch in dieser Hinsicht hilft. Sie ist aber eben nur ein – wenn auch wichtiges – Feld der Transformation.
Die zweite Annahme, die ich für unzutreffend halte, ist die, dass heutzutage nahezu alles streitkräftegemeinsam zu geschehen habe. Ich weiß, dass ich mit einer solchen Aussage schon fast an die Grenzen der political correctness stoße. Das ändert aber nichts an deren Wahrheitsgehalt. Ich darf Ihnen versichern, dass ich dabei keineswegs ausschließlich durch eine TSK-Brille schaue. Sieben von insgesamt elf Jahren, die ich im Ministerium verbracht habe, war ich im streitkräftegemeinsamen Bereich eingesetzt. Ich verfüge durchaus über eine Bundeswehrbrille und ich setze sie sogar auf.
Aber auch unter diesem Blickwinkel kann man eigentlich die
eigenständige Bedeutung der TSK nicht verkennen. Arbeitsteilung ist eine
kulturelle Errungenschaft. Und in einer immer komplexer werdenden Welt
natürlich unverzichtbar. Ich schäme mich ein wenig, hier solche
Plattitüden zu verkünden, aber inzwischen muss man schon darauf
hinweisen, dass es tatsächlich noch einige kleinere Unterschiede
zwischen Land-, Luft- und Seestreitkräften gibt.
Dem gegenwärtigen Bemühen, Heeresoffiziere zu befähigen, Fregatten zu
führen, und Marineoffiziere als Bataillonskommandeure zu schulen, kann
ich so recht nichts abgewinnen. Sie sehen, ich übertreibe natürlich
maßlos. Aber die unter dem wohlklingenden Begriff „Harmonisierung der
Ausbildung“ angestrebte Vereinheitlichung geht aus meiner Sicht schon
über ein angemessenes Maß hinaus.
Ich bitte Sie herzlich, diese etwas süffisanten Anmerkungen nicht als
ein statement gegen Jointness zu verstehen. Jointness – also das
Zusammenwirken zwischen Land-, Luft- und Seestreitkräften - ist ohne
Zweifel wichtig. Wir haben es in der Vergangenheit betrieben und werden
es in der Zukunft – auch im Rahmen der vernetzten Operationsführung -
noch verstärken. Die Behauptung jedoch, dies sei der entscheidende
Treiber der Transformation ist aus meiner Sicht so nicht zutreffend.
Auf strategischer Ebene ist Jointness zwar nahezu immer gefragt, auf operativer Ebene relativ häufig, auf taktischer Ebene aber eher selten. Die Fälle, in denen sich der Infanterist, der sich in seinem Feldpostenstand plötzlich einem feindlichen gepanzerten Spähtrupp gegenüber sieht, von einem fast 100 Millionen € teuren Jagdbomber oder einer in den benachbarten Küstengewässern kreuzenden Fregatte unterstützen lässt, werden überschaubar bleiben. Es ist sicher kein Nachteil, wenn er die notwendigen Verfahren zu einem solchen Waffeneinsatz beherrscht. Da Ausbildungszeit aber immer knapp ist, sollte sie sinnvoller Weise für näherliegende Zwecke benutzt werden.
Anders als mit Jointness sieht das mit Combinedness aus, also dem
Zusammenwirken mit Kräften der Verbündeten der gleichen TSK. Sie muss
nahezu in jeder Lage praktiziert werden.
Die Luftwaffe ist eng eingebunden in die integrierte Luftverteidigung
der NATO und auch bei Luftangriffsoperationen – z.B. seinerzeit im
Kosovo – ist engste Abstimmung mit den Luftstreitkräften der übrigen
beteiligten Nationen geboten. Die Marine – sei es im Mittelmeer oder am
Horn von Afrika oder in den übrigen Standing Naval Forces – ist es
gewohnt, engstens mit den Seestreitkräften der übrigen Nationen zu
kooperieren, und übernimmt oftmals auch die Führung in solchen
Operationen. Und bei den Landstreitkräften ist es ganz genau so. In
allen aktuellen oder auch denkbaren Einsätzen, vielleicht mit Ausnahme
von Evakuierungsoperationen, sind wir in multinationale Strukturen
eingebunden – in Stabilisierungsoperationen teilweise bis auf die
unterste Führungsebene.
Ein typisches Beispiel für einen solchen Einsatz ist ISAF VI. An
dieser Internationalen Schutztruppe sind nicht weniger als 38 Nationen
beteiligt. Und viele von ihnen sind nicht einmal NATO-Mitglieder.
Angesichts dieser Lage ist die gelegentlich zu hörende Klage, die TSK
arbeiteten mit ihren internationalen Partnern enger zusammen als mit den
übrigen TSK innerhalb der Bundeswehr, nicht so recht nachvollziehbar.
Sie tun recht daran.
Für die Vernetzte Operationsführung folgt daraus, dass es ein möglichst
hohes Maß an Interoperabilität zwischen Verbündeten geben muss.
Eigentlich ist es militärisch unverständlich, dass es gerade im Bereich
der Führungsinformationssysteme kaum multinationale Entwicklungen gibt.
Leider geht nahezu jede Nation, die etwas auf sich hält, aus
industriepolitischen Gründen ihren eigenen Weg.
Die dritte Annahme, die ich für unzutreffend halte, ist die der Rationalisierung durch Zentralisierung. Aus meiner langen militärischen Erfahrung - auch als Organisator - sage ich Ihnen, dass ich von Zentralisierung nicht allzu viel halte. Zentralisierung führt stets zur Bürokratisierung; sie hemmt Innovation und Kreativität. Sie entfernt den, der eine Leistung erbringt von dem, der sie benötigt. Wer glaubt, dass dies grundsätzlich rationell sei, irrt. Es trifft auch keineswegs zu, dass Netzwerke die Zentralisierung begünstigten; das Gegenteil ist der Fall. Netzwerke erlauben dezentrale Strukturen.
Diese Erkenntnisse spiegeln sich allerdings in unserer
Bundeswehrstruktur nicht unbedingt wider. Wir haben durch unsere
gegenwärtige Organisationsform den Zwang geschaffen, häufig über die
Grenzen der Organisationsbereiche hinweg in engster Weise zu kooperieren
– frei nach dem Motto: „Was einer bequem allein schaffen kann, ist i.a.
auch für zwei nicht zu schwer.“ Tatsache ist, dass ein solches
Zusammenwirken einen immensen Koordinierungsaufwand erfordert.
Unsere vornehmste Aufgabe in der militärischen Führung ist es aber doch,
es der Truppe möglichst einfach zu machen, ihre Aufgaben zu erfüllen.
Das kann nicht gelingen, wenn man sich die Mittel, die man für einen
Auftrag benötigt, aus verschiedenen Organisationsbereichen, auf die man
keinen direkten Zugriff hat, erst einmal mühsam zusammenklauben muss.
Diejenigen, die im Einsatz zusammenwirken müssen, sollten dies
zweckmäßiger Weise bereits im Frieden tun. Nur so wächst gegenseitiges
Verständnis und Vertrauen, das für Einsätze unabdingbar ist. „Train and
organize as you fight!” muss deshalb das Motto sein.
Einen Zwang, assets, die von mehreren benötigt werden, in einem
gesonderten Bereich zusammenzufassen, gibt es gerade auch mit Blick auf
die Vernetzte Operationsführung nicht. Denn ich kann ihre Wirkung –
falls erforderlich – für jeden in einem Netzwerk, der sie benötigt, zur
Geltung bringen. Aus den Gründen, die ich genannt hatte, ist es deshalb
zweckmäßig, solche assets organisatorisch beim jeweiligen
Hauptbedarfsträger anzusiedeln. Das haben wir in der Vergangenheit unter
dem Stichwort „Aufgabenwahrnehmung in Pilotfunktion“ mit gutem Erfolg
praktiziert. Auf diesem Feld gibt es im Rahmen der Transformation aus
meiner Sicht noch Nachsteuerungsbedarf.
Auch mit Blick auf die Bedingungen der Vernetzten
Operationsführung ist es im übrigen sinnvoll, Elemente, die in häufiger
Interaktion stehen, auch in organisatorischer Nähe anzusiedeln. Denn das
erleichtert die Kommunikation doch ganz erheblich. Es macht dagegen
wenig Sinn, den intensiven Informationsaustausch zwischen benachbarten
Elementen über ein globales Netz zu organisieren.
Diese Feststellungen – manche werden sicher sagen: Behauptungen – zeigen
aus meiner Sicht, dass die Vernetzte Operationsführung eine zweckmäßige
Organisation von Streitkräften nicht obsolet macht.
Ein letztes Missverständnis, das ich ausräumen möchte, betrifft
die Begrifflichkeit. Es ist nicht nur Semantik, wenn wir in der
Bundeswehr von „Vernetzter Operationsführung“ und nicht von „network
centric warfare“ sprechen. Denn erstens wollen wir dieses System
natürlich nicht nur in wirklichen Kriegssituationen, sondern in allen
Operationen nutzen. Und zweitens sind wir der festen Überzeugung, dass
nicht ein Netzwerk im Mittelpunkt militärischer Operationen stehen kann
und sollte, sondern nach wie vor der Mensch, der einzelne Soldat. Das
Netzwerk ist nicht mehr als ein Mittel, ein sehr wichtiges Mittel
allerdings, ein Instrument, das die Auftragserfüllung erleichtert -
hoffentlich.
Soviel an Grundsätzlichem vorweg, meine Damen und Herren.
Bei der Frage, was eine Vernetzte Operationsführung für Landstreitkräfte leisten muss, stelle ich noch einmal voran, was eigentlich selbstverständlich ist: Natürlich muss sie die Auftragserfüllung in der gesamten Bandbreite der hier dargestellten Aufgaben abdecken - also von der Kriegführung über die Friedensstabilisierung bis hin zur Hilfe in Katastrophenfällen und anderen Unterstützungsleistungen im Inneren. Ich glaube, ich brauche das nicht zu vertiefen. Die höchsten Anforderungen an die Vernetzte Operationsführung werden allerdings in high-intensity-operations gestellt. Unglücklicherweise ergeben sich dabei für Landstreitkäfte leider ein paar Probleme.
Die Idee, alle Sensoren und Effektoren im Rahmen eines Netzes zu
verbinden, ist ja überzeugend. Wir hatten sie im übrigen lange bevor der
sehr ambitionierte Begriff des Network Centric Warfare entstand. Wir
sprachen von dem Verbund von Aufklärung, Führung und Wirkung und haben
dabei - zugegebenermaßen - natürlich zunächst einmal auf die assets der
Landstreitkräfte geschaut.
Diese Idee zu realisieren scheint heute oder in naher Zukunft durchaus
möglich und technisch zu bewältigen. In den Vorträgen gestern und heute
haben wir diese Botschaft immer wieder gehört. Die eine oder andere
Schwierigkeit gilt es sicherlich noch zu überwinden, z.B. die der
erforderlichen Bandbreiten, aber insgesamt sind wir - glaube ich - auf
einem erfolgversprechenden Weg. Zu glauben, es wäre damit aber schon
sichergestellt, dass die Informationen, die in einer bestimmten Lage
benötigt werden, auch tatsächlich zeitgerecht verfügbar sind, wäre
allerdings sehr optimistisch.
Dies gilt insbesondere für Landoperationen, die in der Regel deutlich komplexer sind als Luft- und Seekriegsoperationen. Die Herren in blauen Uniformen unter uns müssen nun nicht traurig sein, denn dies sagt natürlich nichts über die Bedeutung der anderen Components innerhalb einer Operation aus. Aber, die letzteren zeichnen sich halt durch eine i.a. durchaus überschaubare Anzahl von Luftfahrzeugen und Schiffen aus, die mehr oder weniger zentral geführt werden. Im Gegensatz dazu wird die Lage bei Bodenoperationen in der Regel durch eine kaum noch überschaubare Zahl von Faktoren bestimmt. Die Operationen werden von Hunderten oder sogar Tausenden von militärischen Führern über bis zu zwölf Führungsebenen geführt. Ein „Recognized Ground Picture“ herzustellen, erscheint ungleich schwieriger.
Bisher entstand dieses Lagebild in einem mühsam aufwachsenden Prozess, in dem jede Führungsebene ein aggregiertes Lagebild nach oben meldete, das dort mit den Erkenntnissen aus anderen verfügbaren Quellen zusammengeführt wurde. Das kostete Zeit und war mit Fehlern behaftet. Das Bild war auch immer unvollständig. Die vorliegende Information war aber immer relevant, denn sie war ja gerade unter dem Gesichtspunkt „Relevanz“ so zusammengestellt worden. In einem Netzwerk mag es sein, dass ich zwar alle Informationen irgendwo im Netz habe, aber das Problem ist dann, sie für die jeweilige Führungsebene und Entscheidungssituation schnell verfügbar zu machen. Und zwar in aggregierter Form, denn sonst kann ich aufgrund des Information overload wenig damit anfangen.
Und in umgekehrter Richtung der bisherigen Hierarchien gilt das
genauso. Der politische und militärische Führungswille muss
ebenengerecht nach unten umgesetzt werden. Es hilft dem Zugführer meist
nicht so sehr viel, wenn er sich die politischen Vorgaben des IBUK oder
die Ziffern 2 und 3.a des Operationsbefehls seines Oberbefehlshabers im
Netz anschauen würde. Wir werden also wohl auch zukünftig nicht auf
militärische Hierarchien verzichten können. Wie man diese Hierarchien
und ein Netzwerk sinnvoll zusammenbringt, bedarf m.E. noch einiger
grundsätzlicher Überlegungen. Es ist Ihnen sicher nicht entgangen, dass
ich dies für die eigentliche Herausforderung halte, deutlich schwieriger
zu bewältigen, als die – zweifelsohne auch notwendige - Lösung der
technischen Probleme.
Meine Damen und Herren, ich bitte diejenigen unter Ihnen um Nachsicht,
die mich zu dieser Thematik schon einmal gehört haben. Man kann dies
m.E. aber nicht häufig genug herausstellen, damit wir nicht falschen
Erwartungen hinterherlaufen und unsere Anstrengungen auf die richtigen
Fragen konzentrieren. Deshalb werde ich Ihnen auch nicht versprechen,
meine Wanderpredigerattitüde in dieser Frage künftig aufzugeben.
Meine Damen und Herren, bei unseren eigenen Bemühungen in
Richtung auf eine Vernetzte Operationsführung gehen wir einen sehr
engagierten, aber pragmatischen Ansatz, der sich m.E. sehen lassen kann.
Wir haben mit HEROS 2.1 2.Los ein Führungsinformationssystem für die
Ebene Division und aufwärts bereits in die Truppe eingeführt, das in
jeder Hinsicht „state of the art“ ist. Das Deutsch-Niederländische Korps
arbeitet damit sehr erfolgreich. Auf der taktischen Ebene haben wir mit
dem System FAUST Pionierarbeit geleistet. Es wird von unseren Kräften
bei den Einsätzen auf dem Balkan seit Mai 2004 (KFOR) und Juni 2005
(SFOR) und in Afghanistan genutzt. Z.Z. arbeiten wir daran, die
bestehenden Systeme miteinander zu verknüpfen. Dass dies überhaupt noch
nötig ist, ist kein Ruhmesblatt für die deutsche Industrie. Wenn die
beteiligten Firmen nicht besser zusammenarbeiten als bisher, werden
wir unser Ziel nicht erreichen! Und wir müssen endlich auch die Stufe 2
des Multilateralen Interoperabilitätsprogramms (MIP) in unseren Systemen
implementieren. Andere Nationen sind uns da deutlich voraus.
Wir hoffen darüber hinaus, dass wir im nächsten Schritt mit dem Führungsinformationssystem Heer (FüInfoSysH) alle Systeme innerhalb des Heeres umfassend integrieren und an das Informationssystem der Bundeswehr anbinden können. Das FüInfoSysH ist das am höchsten priorisierte Projekt des Heeres. Da wir aus Kostengründen dieses System – im nächsten Jahr beginnend – nur peu á peu einführen können, werden wir die vorhandenen Systeme in der Übergangszeit natürlich weiter nutzen müssen. Ich denke hier auch an HEROS 2.1 2.Los.
Ohnehin werden wir auch bei den Führungsinformationssystemen natürlich nie einen Endzustand erreichen. Die Entwicklung wird auch auf diesem Gebiet, das ja in den vergangenen Jahrzehnten eine geradezu unheimlich anmutende Innovationsrate aufgewiesen hat, nicht plötzlich stehen bleiben. Wichtig ist aber, dass einheitliche Standards eingehalten werden. Denn sonst verlieren wir die Kommunikationsfähigkeit wieder, die wir gerade mühevoll herstellen wollen. Und das wäre angesichts der multinationalen Strukturen, in die wir integriert sind und die wir, z.B. mit der NATO Response Force und den EU-Battlegroups noch ausbauen, natürlich eine Katastrophe.
Die Möglichkeiten, die eine Vernetzte Operationsführung bietet,
schlagen sich auch in neuen konzeptionellen Ansätzen nieder. Ein
wichtiges Beispiel dafür und zugleich ein „Leuchtturmprojekt“ des Heeres
ist „Joint Fires“. Darunter wird die Entwicklung von Regeln, Verfahren
und Organisationsstrukturen verstanden, die es erlauben, die verfügbaren
und geeigneten Waffensysteme aller TSK für das Feuer auf dem
Gefechtsfeld sinnvoll zu nutzen. In der Struktur des Neuen Heeres, die
wir ab 2007 einnehmen, werden wir die bisherigen Vorgeschobenen
Beobachter der Artillerie und der Mörser sowie den Forward Air
Controller der Luftwaffe durch die Joint Fire Support Teams (JFST)
ersetzen. Diese verfügen dann über die Mittel und Verfahren, Feuer aller
Teilstreitkräfte anzufordern und ins Ziel zu lenken. Die Ausstattung
orientiert sich am Fähigkeitsprofil und Einsatzspektrum der jeweiligen
Verbände.
Die JFST der schweren Kräfte bekommen PUMA, die der mittleren Kräfte
FENNEK. Der WIESEL ist vorgesehen für die leichten Kräfte, der BV 206
ist die Plattform für die Gebirgstruppe. Z.Z. prüfen wir, welche
technischen Systeme erforderlich sind, um das Feuer dann, wenn es
benötigt wird, verzugslos und präzise ins Ziel zu bringen. Dazu müssen
wir auch die unterschiedlichen Verfahren abgleichen und anpassen. Dies
geschieht gemeinsam mit Luftwaffe und Marine.
Meine Damen und Herren, ein kurzer Blick darauf, was wir
insgesamt mit der Vernetzten Operationsführung erreichen wollen. Ein
Schlüssel dafür ist ohne Zweifel ein „Recognized Ground Picture“. Von
den Schwierigkeiten der Realisierung habe ich bereits gesprochen. Der
von den amerikanischen Streitkräften im Irak-Krieg genutzte sog. „Blue
Force Tracker“ war damals zwar ein außerordentlich nützliches Mittel,
ist aber doch nur ein Anfang in sehr rudimentärer Form. Hier ist
sicherlich noch eine Menge an Grundlagenarbeit erforderlich.
Wenn wir dies jedoch bewältigen, werden wir über Lagebilder einer neuen
Qualität verfügen, die dem Truppenführer mehr Zeit und mehr
Handlungssicherheit verschaffen. Durch parallele, eng abgestimmte
Planung auf mehreren Ebenen wird die Planungs- und Vorbereitungszeit
verkürzt und eine schnellere Reaktionsfähigkeit ermöglicht. Es liegt auf
der Hand, dass hierdurch das Operationstempo erhöht wird – ein häufig
entscheidender Vorteil im Gefecht. Tempo ist nicht bloß Geschwindigkeit.
Tempo bedeutet auch, dem Gegner im Denken voraus zu sein - wie beim
Schachspiel zumindest stets um einen Zug.
Voraussetzung dafür ist allerdings ein effizienter Umgang mit der
Information. Sonst werden die gerade gewonnenen Zeitvorteile und die
dadurch erwachsenden Handlungsspielräume für die Operationsführung
umgehend wieder verspielt. Von Schlagworten wie “alle wissen alles” oder
“self-synchronisation” in diesem Zusammenhang halte ich gar nichts. Sie
können weder die ebenengerechte Übermittlung von Informationen noch
einen klar definierten Auftrag ersetzen. Dies zu gewährleisten, ist eine
zentrale Führungsaufgabe.
Die Auswirkungen der vernetzten Operationsführung auf Führungsorganisation, Führungsverfahren und Einsatzgrundsätze müssen noch eingehend untersucht werden. Auch auf diesen Feldern bedarf es der Weiterentwicklung, damit wir den größtmöglichen Vorteil aus den neuen Möglichkeiten ziehen können. Das wollen wir nicht nur in der Theorie tun, sondern möglichst rasch praktisch erproben. Hierzu hat am Gefechtsübungszentrum des Heeres gerade vor wenigen Wochen ein erstes Teilexperiment auf taktischer Ebene stattgefunden. Es wird z.Z. ausgewertet. Wir werden diese Experimente fortsetzen und haben dafür im nächsten Jahr insgesamt 16 Übungstage eingeplant. Ab dem 2. Halbjahr 2006 untersuchen wir dann die Ebene Task Force/Gefechtsverband.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen:
Die Fähigkeit zur vernetzten Operationsführung stellt zweifellos einen
entscheidenden Schritt in Richtung Informations- und
Wirkungsüberlegenheit dar. Sie verbessert die Bedingungen für den
raschen und weltweiten Einsatz von Streitkräften in multinationalen
Strukturen. Sie erhöht die Effektivität und Effizienz der Waffensysteme
und nicht zuletzt den Schutz der Truppe. Andererseits müssen wir
erkennen, dass noch einige grundlegende Probleme gelöst werden müssen,
bevor wir eine echte Fähigkeit zur vernetzten Operationsführung
erwerben. Dies gilt aufgrund der ihnen innewohnenden Komplexität,
insbesondere für Landoperationen.
Zweifellos werden sich auch die Führungsbedingungen und -verfahren
erheblich verändern. Ich bin jedoch überzeugt, dass die Grundsätze der
Führung i.w. gültig bleiben werden. Die Bedeutung des „Führens mit
Auftrag“ („Auftragstaktik“) zum Beispiel wird nicht geschmälert.
Ausreichende und zuverlässige Informationen auf allen Ebenen schneller
bereitzustellen,erleichtert dezentrale Entscheidungen und lagegerechtes
Handeln. Es wäre ein großer Fehler, mit den nunmehr verfügbaren
technischen Möglichkeiten auf eine eher zentrale Führung
umzustellen. Auch unter den neuen Bedingungen ist Führungskultur von
entscheidender Bedeutung.
Darüber hinaus dürfen wir eines nicht vergessen: Ein Netz unterstützt
nur. Es ist ein Mittel zum Zweck. Auch unter den Bedingungen der
vernetzten Operationsführung gibt es keinen Ersatz für Führung sowie für
das Können, die Zuverlässigkeit und die Einsatzbereitschaft des
einzelnen Soldaten.