Die Wirtschaft an der Seite der Bundeswehr
Ansprache des Stellvertreters des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Jürgen Ruwe, anlässlich einer Veranstaltung der Commerzbank Deutschland am 7. Dezember 2005 in Düsseldorf
Sehr geehrter Herr Müller, sehr geehrter Herr Wirsing, Herr Oberbürgermeister Erwin, meine Damen und Herren!
Ich danke Ihnen, Herr Müller, ganz herzlich für Ihre Einladung
und für die freundlichen Einführungsworte. Ich hatte bereits im
letzten Jahr die Freude, an dieser bemerkenswerten Veranstaltung
teilzunehmen. Damals war es noch reines Vergnügen, denn mein
Vorgänger im Amt, Herr Generalleutnant Dietrich, stand in der
Vortragspflicht. Angesichts der klaren Ansprache durch Herrn Müller
blieb mir nichts anderes übrig, als diesen Ansatz fortzusetzen.
Nun möchte ich allerdings nicht den Eindruck erwecken, ich hätte mich
unter Zwang hierher begeben. Ich finde es vielmehr außerordentlich
begrüßenswert, dass die Commerzbank mit dieser Veranstaltung ein Forum
„Wirtschaft und Bundeswehr“ etabliert. Herr Müller hat es soeben sogar
noch erheblich freundlicher für uns formuliert und die Wirtschaft der
Bundeswehr zur Seite gestellt. Diese beiden gesellschaftlichen
Bereiche stehen sich in der Tat nicht so fern, wie man auf den ersten
Blick vielleicht annehmen mag. Vielmehr existiert ein vielfältiges
Beziehungsgeflecht.
In mancherlei Hinsicht unterscheiden wir uns allerdings auch signifikant. Während die Streitkräfte seit mindestens 15 Jahren mehrfach reduziert wurden, gibt es in der Wirtschaft ein beständiges Wachstum, das allerdings z.Z. durchaus ein wenig intensiver sein könnte. Immerhin heben sich einige Wirtschaftunternehmen von diesem negativen Trend deutlich ab. Die Commerzbank gehört ganz sicher dazu. Mit großem Interesse und auch mit Respekt vor Ihrem unternehmerischen Mut, Herr Müller, haben wir in den Medien Ihre jüngste Akquisition verfolgt, mit der Sie Ihre Bank noch rechtzeitig vor dieser Veranstaltung zur zweitgrößten der Republik gemacht haben. Immerhin hat das Militär ein wenig von dem Glanz dieses Coups abbekommen. Denn er wurde in einigen Medien als „generalstabsmäßig vorbereitet“ beschrieben. Uns im Heer, Herr Müller, überraschen solche Fähigkeiten bei Ihnen nicht, denn wir haben sie ja etliche Male erleben dürfen.
Dennoch waren es nicht in erster Linie diese Talente, die dazu geführt haben, dass Sie im Sommer mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr ausgezeichnet wurden. Vielmehr war es Ihre Sympathie und Unterstützung für die Streitkräfte und unseren Auftrag, die Sie in Wort und Tat schon über viele Jahre gewährt haben. Ich gratuliere Ihnen zu dieser Auszeichnung ganz herzlich. Sie wird an Zivilisten nur sehr selten vergeben. Ich nutze die Gelegenheit, Ihnen für Ihr herausragendes Engagement für unsere Sache zu danken. Das wurde uns heute in Ihren einführenden Worten erneut deutlich vor Augen geführt. Ich danke ebenso Herrn Wirsing als dem Hausherrn dieser Veranstaltung für seine treue Verbundenheit mit den Streitkräften. Und ich danke natürlich auch für den großartigen Rahmen, in dem wir uns heute wieder austauschen dürfen.
Meine Damen und Herren, ich sprach von dem vielfältigen Beziehungsgeflecht zwischen Bundeswehr und Wirtschaft. Es weist naturgemäß unterschiedliche Facetten auf. Ich habe volles Verständnis dafür, wenn - mit den Augen der Wirtschaft - die Bundeswehr vielleicht in erster Linie als Kunde gesehen wird. Das sind wir ja auch in mehrfacher Weise. Zum einen im regionalen Bereich, denn an unseren Standorten – zumal wenn sie nicht gerade Großstädte sind - stellen wir einen nicht unbeachtlichen Wirtschaftfaktor dar. Die Truppe und die Angehörigen unserer Soldaten decken dort ihren täglichen Bedarf; die Standortverwaltungen bieten zivile Arbeitsplätze und der Unterhalt unserer Kasernen beschäftigt das örtliche Bauhandwerk. Ein mittlerer Standort bringt mehr als 30 Mio. € pro Jahr in die jeweilige Region.
Die Ausrüstung und die Waffensysteme, die wir brauchen, um
unseren Auftrag ausführen zu können, beschaffen wir natürlich
überregional. Da wir uns in Einsätzen immer in einem besonders
gefährdeten Umfeld bewegen, sonst bräuchte man ja keine Streitkräfte
dafür, benötigen wir in aller Regel Spitzentechnik. Wir sind froh, dass wir
in Deutschland eine außerordentlich leistungsfähige Rüstungsindustrie haben
und nicht ausschließlich unseren Bedarf im Ausland decken müssen. Was
das Heer anlangt, stellt uns die deutsche Landsystemindustrie Produkte
zur Verfügung, die absolute Weltspitze sind. Einer der drei major
players auf diesem Feld hat seinen Hauptsitz hier in Düsseldorf und ist
auf Vorstandsebene vertreten. Herzlich willkommen, Herr Moog.
Meine Damen und Herren, Streitkräfte modern zu halten, ist eine teure
Angelegenheit und fällt bei äußerst begrenzten Haushaltsmitteln
natürlich nicht leicht. Dabei geht es heute nicht so sehr darum, dem
potenziellen Gegner in der Waffenwirkung möglichst immer einen Schritt
voraus zu sein, sondern angesichts einer überwiegend asymmetrischen
Bedrohung, mehr als früher um den Schutz unserer Soldaten. Ich komme
noch darauf zurück.
Um Ihnen die Größenordnung des Wirtschaftsfaktors Bundeswehr zu
verdeutlichen, einige Zahlen zu unserem Haushalt: Der Betrieb der
Streitkräfte ohne Personalausgaben bringt ca. 5,5 Mrd. € überwiegend in
die heimische Wirtschaft zurück. Für Materialinvestitionen wenden wir
pro Jahr etwa 5,2 Mrd. € auf. Bezieht man die Aufwendungen für die
Infrastruktur in Höhe von 750 Mio. € ein, beträgt der Investanteil am
Gesamtumfang des Verteidigungsetats ca. 26%. Angestrebt wurden
eigentlich ca. 30%, weil dies die Größenordnung ist, die international
für erforderlich gehalten wird, um Streitkräfte modern zu halten. Dabei
muss man allerdings auch berücksichtigen, dass wir mit unseren
Verteidigungsaufwendungen eher am unteren Ende der internationalen
Vergleichsskala angesiedelt sind. Großbritannien und Frankreich
beispielsweise liegen mit ihren Aufwendungen in absoluten Zahlen
deutlich höher. Und wenn man den Anteil am Bruttoinlandsprodukt
betrachtet, befindet sich Deutschland mit 1,5% eher im hinteren Drittel.
Die USA wenden 3,7% auf, Frankreich und Großbritannien 2,5 bzw. 2,4%.
Wir können natürlich beklagen, dass wir über keine höheren Mittel
verfügen; es nützt uns aber nichts. Denn angesichts des desolaten
Zustandes unserer Staatsfinanzen werden wir nicht mehr bekommen.
Natürlich unternehmen wir alles, um nach dem Prinzip „best value for
money“, in der Tat das Beste daraus zu machen. Dabei sehen wir dann im
Vergleich auch gar nicht mehr so schlecht aus.
Was unsere Aufgaben anlangt, fürchte ich, wissen nicht allzu
viele Bürger, was wir eigentlich zu welchen Zwecken wo treiben. Deshalb
würde ich mich sehr freuen, wenn Sie als wichtige Entscheidungsträger in
der Wirtschaft, als Multiplikatoren, wie man so schön sagt, die eine
oder andere Erkenntnis aus dieser Veranstaltung mitnehmen und
weitertragen würden.
In der Bundeswehr haben wir inzwischen die neuen Aufträge verinnerlicht.
Wir sind eine Armee im Einsatz – mit derzeit ca. 6.200 Soldaten der
Bundeswehr auf drei Kontinenten. Das Heer stellt mit 3.400 mehr als die
Hälfte davon, vorwiegend auf dem Balkan und in Afghanistan. Nimmt man
Vor- und Nachbereitung der Einsätze einschließlich des benötigten
Ausbildungspersonals hinzu, sind jeden Tag ca. 14.000 Soldaten des
Heeres mit Einsätzen befasst. Oder noch eine Zahl: Seit 1995 waren ca.
150.000 Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz. General Clauß wird
dieses Thema anschließend vertiefen.
Darüber hinaus stellen wir Beiträge für die Schnelle
Eingreiftruppe der NATO (NATO Response Force) und für die neu
aufgestellten Battle-Groups der Europäischen Union. Von Januar bis Juni
diesen Jahres hatten wir ca. 2.600 Soldaten des I. Deutsch-Niederländischen Korps,
dessen Hauptquartier ja hier in NRW ist, in der jeweils sechsmonatigen
Bereitschaftsphase für die sog. NRF 4. Weitere Beteiligungen im Rahmen der
NATO Response Force sind für das nächste Jahr und dann wieder für 2008 geplant.
Einen ersten maßgeblichen Beitrag für die EU-Battle Groups stellen wir
im 1.Halbjahr 2006, weitere werden in 2007 und 2008 folgen. Darüber
hinaus leisten wir erneut im Rahmen des Nation-Building
Ausbildungsunterstützung für irakische Sicherheitskräfte in den VAE. Und
wir helfen natürlich auch in Pakistan. Innerhalb kürzester Zeit haben
wir ca. 1.300 Personen, Verletzte, aber auch Angehörige des THW und des
Pakistanischen Militärs sowie 670 Tonnen Hilfsgüter mit unseren
Hubschraubern transportiert. 4 CH-53 und ca. 80 Soldaten sind derzeit
dort im Einsatz.
Das Heer ist größter Truppensteller und wesentlicher Träger der Auslandseinsätze. Dass unsere Soldaten seit Jahren im Einsatz hervorragend bestehen, das bestätigen uns Alliierte, Politiker und vor allem auch die Menschen in den Krisenregionen selbst. In der Gesellschaft werden diese Aktivitäten – so ist mein Eindruck – eher beiläufig zur Kenntnis genommen. Das hat im übrigen auch Bundespräsident Köhler in seiner Rede bei der 40. Kommandeurtagung der Bundeswehr vor wenigen Wochen zum Ausdruck gebracht. Er sprach von einer Abkopplung des Bedrohungsbewusstseins und fordert einen breiten gesellschaftlichen Diskurs, wenn er sagt (ich zitiere): "Früher drohte den Bürgern in Zivil und den Bürgern in Uniform dieselbe Kriegsgefahr, heute scheinen die Heimat friedlich und die Einsatzorte der Bundeswehr weit".
Wir brauchen aber das Verständnis unserer Gesellschaft für den
Einsatz, seine Risiken und die damit verbundenen möglichen Folgen,
einschließlich der Belastungen für die Familien. Dies gibt unseren
Soldaten und ihren Familien den Rückhalt, der es ihnen erleichtert,
schwierige Aufgaben tagtäglich auch unter widrigen Umständen zu
meistern. Dazu gehören, um nur einige zu nennen: Asymmetrische
Kriegsführung, eine 360 Grad-Rundum-Bedrohung, ein oft diffuses
Lagebild, hoher Druck und Stress, ein multikulturelles und
multiethnisches Umfeld, und auch der CNN-Faktor, d.h. alles, was man
tut, steht unter der Beobachtung der Medien. Die sezieren dann die
Maßnahmen, die am Ort des Geschehens u.U. in wenigen Sekunden zu treffen
waren, quasi in Zeitlupe. Wir kennen das vom Fußball.
Insgesamt verlangen diese Umstände von unseren militärischen Führern
neben der Fähigkeit zur taktischen Lagebeurteilung auch politische,
soziale, ethische und moralische Urteilsfähigkeit – eine anspruchsvolle
Meßlatte.
Die Risiken, die der Einsatz mit sich bringt, Verwundung und im äußersten Fall auch Tod, werden öffentlich kaum thematisiert. Minister Struck ist nicht müde geworden, auf diese Risiken hinzuweisen, aber die Resonanz hielt sich in Grenzen, um das mal vorsichtig zu formulieren. Nach einem Anschlag wie vor drei Wochen in Kabul gibt es zwar schnell den Ruf nach besserer Ausrüstung der Streitkräfte ; aber es wird häufig verdrängt, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt. Wenn ich mich in meinem Feldlager verbarrikadiere, wenn ich mein gepanzertes Fahrzeug nicht verlasse, kann ich auch meinen Auftrag nicht ausführen; dann hätte man gleich zu Hause bleiben können. Damit ich nicht missverstanden werde: Natürlich brauchen wir für unsere Soldaten die bestmögliche Ausrüstung, den bestmöglichen Schutz, und all unsere Kräfte müssen auch zum Kampf befähigt sein.
Wenn man sich nämlich die aktuellen Operationen zur Friedensstabilisierung anschaut, stellt man fest, dass wir in kaum einem Bereich ein befriedetes Umfeld haben. Weder in Afghanistan, noch im Kosovo, wo wir uns bis zu den Märzunruhen des vergangenen Jahres schon zu sicher gefühlt hatten. Von einer auf die andere Sekunde kann ein überaus friedlich wirkendes Umfeld umschlagen in höchste Bedrohung. Und wenn wir gar auf den Irak schauen, stellen wir fest: Selbst in einer Stabilisierungsphase gibt es Auseinandersetzungen vom Typ „Falludscha“. Was aus strategischer und politischer Sicht als Teil einer Stabilisierungsoperation gesehen wird, bedeutet für die taktischen Führer vor Ort oft Kampf in höchster Intensität.
Daher ist völlig klar: Auch Stabilisierungskräfte müssen in jedem Fall zum Kampf befähigt sein. Und wir tun gut daran, sie so gut wie möglich darin auszubilden und sie robust und durchsetzungsfähig auszustatten. Wir sind kein leichtbewaffnetes Technisches Hilfswerk. Kampf allein reicht allerdings heute nicht mehr. Die Einsatzrealität fordert von uns Soldaten, und besonders von den militärischen Führern, weit mehr: Alle Heeressoldaten müssen in der Lage sein, im gesamten Aufgaben und Einsatzspektrum zu schützen (z.B.: anvertraute Zivilbevölkerung), zu helfen (z.B.: Wiederaufbau von Infrastruktur) und zu vermitteln (z.B.: zwischen Konfliktparteien).
Damit wir künftig noch besser auf diese Aufgaben eingestellt
sind, hat Minister Struck mit seinen Verteidigungspolitischen
Richtlinien vom Mai des vergangenen Jahres erneut eine neue
Bundeswehrstruktur angestoßen. Die Transformation der Bundeswehr – wie
wir das mit einem etwas technokratischen Begriff jetzt bezeichnen - ist
ein fortlaufender Prozess, der mit den aktuellen Veränderungen nicht zum
Abschluss kommt. Er hat zum Ziel, unsere Streitkräfte besser zu dem zu
befähigen, was tatsächlich in der heutigen sicherheitspolitischen
Situation von ihnen gefordert wird. Einsätze zur Konfliktverhütung und
Krisenbewältigung, einschl. des Kampfs gegen den internationalen
Terrorismus, haben deshalb im Mittelpunkt aller konzeptionellen und
strukturellen Überlegungen gestanden.
Aber die Ausplanung stand natürlich auch unter dem Diktat knapper
Ressourcen. Die Haushaltsenge erzwang die Umfangsreduzierung auf 250.000
Soldaten und 75.000 zivile Mitarbeiter. Damit wollen wir erreichen,
nicht von den Personalkosten aufgefressen zu werden und noch ausreichend
Mittel zur Investition übrig zu behalten. Dazu mussten wir auch die
Betriebskosten deutlich reduzieren, die durch die sehr hohe Zahl von
Standorten aufliefen.
Die Wehrpflicht mit einer Dauer von 9 Monaten wird beibehalten; es werden aber nur noch 55.000 Wehrpflichtige dienen – davon ein erheblicher Teil als FWDL also als Freiwillig Längerdienende Wehrpflichtige bis zu einer Dauer von 23 Monaten. Diese längerdienenden Wehrpflichtigen nehmen wir bekanntlich mit in die Einsätze, wo sie z.Z. etwa 20% des Personals stellen. Und die übrigen übernehmen wichtige Aufgaben im Grundbetrieb der Streitkräfte - von der Bewachung der Kasernen bis hin zu den Hilfseinsätzen bei Flutkatastrophen. Und nicht zuletzt rekrutieren wir aus diesem Potenzial in beträchtlichem Umfang unser längerdienendes Personal, also die Zeit- und Berufssoldaten. Wir sind froh, dass mit der Großen Koalition die Diskussion um die Wehrpflicht zunächst einmal beendet ist – sicherlich nicht für alle Zeiten, aber zumindest für diese Legislaturperiode.
Übrigens: Diesem Personenkreis das Entlassungs- und
Weihnachtsgeld zu streichen, wie das wohl vor kurzem angedacht worden
war, wäre aus meiner Sicht in hohem Maß unangemessen. Wir haben im
Gegenteil im Zusammenhang mit der Diskussion über Wehrgerechtigkeit
überlegt, wie man diejenigen, die einen Dienst für die Allgemeinheit
leisten, besser stellen kann gegenüber denjenigen, die das nicht tun.
Der Wehrsold eines Grundwehrdienstleistenden beträgt je nach Dienstgrad
zwischen 7,41 € und 9,71 € nicht pro Stunde, pro Tag, sein
Weihnachtsgeld ca. 170 €.
Da ich nun schon mal bei sozialen Belangen bin, lassen Sie mich nur kurz
ein Wort sagen zu den beabsichtigten Einsparungen in der
Beamtenbesoldung. Ich bin zwar kein Vertreter des Bundeswehrverbandes,
aber auch als Vorgesetzte haben wir natürlich eine Fürsorgeverpflichtung
für unsere Soldaten. In der öffentlichen Diskussion dieser Fragen ist
leider nicht deutlich geworden, dass die angedachten Maßnahmen
überwiegend Soldaten betreffen. Wir haben nämlich insgesamt nur etwas
mehr als 130.000 Bundesbeamte. Die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten
dagegen beträgt ca. 190.000.
Sie haben mitbekommen, dass das Weihnachtsgeld für den genannten Personenkreis halbiert werden soll. Es wurde bereits vor zwei Jahren von 100% auf 60% eines Monatsgehalts abgesenkt. Zusammen mit den jetzt angedachten Maßnahmen würde das für die Soldaten der Bundeswehr einer Gehaltskürzung von mehr als 5% entsprechen. Das wird zwar den Generalleutnant nicht unmittelbar ins soziale Elend stürzen, aber ich muss schon darauf hinweisen, dass 70% unserer Zeit- und Berufssoldaten den unteren Besoldungsgruppen A 3 – A 7 angehören. Mit solchen Gehältern lässt sich wahrlich kein Staat machen. Und in einer Phase, in der wir sehr viel von unseren Soldatinnen und Soldaten verlangen – sowohl was die Einsätze im Ausland angeht als auch die gewaltigen Strukturveränderungen des Heeres hier in der Heimat – wäre die genannte Gehaltskürzung sicherlich kein besonders gelungenes psychologisches Signal. Denn auch andere Sparmaßnahmen wie die Einschränkungen bei der Pendlerpauschale treffen Soldaten, von denen ein besonders hohes Maß an Mobilität verlangt wird, stärker als andere Bevölkerungsgruppen. Und das häufig vorgebrachte Argument, die Beamten hätten ja zumindest einen sicheren Arbeitsplatz, trifft für unsere 130.000 Zeitsoldaten allenfalls temporär zu. Und für diejenigen, die in einen Einsatz gehen, hat diese Begrifflichkeit noch einen ganz besonderen Beigeschmack.
Meine Damen und Herren, um Ihnen einen Begriff von der Dimension der Veränderungen zu geben, die auf das Heer im wesentlichen in den beiden nächsten Jahren zukommen, nur ein paar Zahlen:
- Von 8 Divisionskommandos lösen wir 3 auf, darunter wie schon erwähnt das Kommando der 7. Panzerdivision hier in Düsseldorf,
- von 22 Brigadekommandos bleiben nur 12 bestehen, und
- die Zahl der Verbände wird insgesamt von 120 auf 78 reduziert.
Während dies geschieht, müssen unsere laufenden Aufgaben, insbesondere die Einsätze im Ausland, unverändert weiter wahrgenommen werden. Darauf sind wir eingestellt. Sie können sich vorstellen, dass dies keine einfache Aufgabe ist. Sie wird auch dadurch nicht wesentlich kleiner, dass wir uns eigentlich seit 1991 in einem ständigen Wandlungsprozess befinden. Es kommt natürlich darauf an, dass wir bei diesem Prozess die Menschen im Heer mitnehmen, wie es heute so schön heißt. Ganz unbestritten: Wir muten ihnen eine Menge zu. Aber es geht kein Weg an diesen Veränderungen vorbei.
Denn das Ziel der Transformation, wie wir diesen Prozess heute
nennen, ist es – wie bereits erwähnt -, uns besser aufzustellen für die
Einsatzverpflichtungen von heute und morgen. Unsere Eingreifkräfte
werden in Ausrüstung und Ausbildung auf das Gefecht der Verbundenen
Waffen hin optimiert. Sie erhalten die für diesen Zweck beste Ausrüstung
und sollen uneingeschränkt zu einer netzwerkbasierten Operationsführung
befähigt werden, wie wir das nennen, – auf gleicher Augenhöhe auch mit
der Führungsmacht unseres Bündnisses. Die Eingreifdivision des Heeres
wird die 1. Panzerdivision in Hannover: Sie wird über zwei mechanisierte
Brigaden verfügen, darunter die Panzerbrigade 21 in AUGUSTDORF, die sie
von der 7. Panzerdivision übernimmt. Zu den Eingreifkräften zählen auch
die deutschen Anteile an der Deutsch-Französischen Brigade. Sie ist –
wie bisher - in erster Linie für den Einsatz im Rahmen des EUROKORPS
vorgesehen. Darüber hinaus haben wir in diesem Dispositiv eine
Luftbewegliche Brigade, die über den Tiger, den NH 90 und zusätzlich
über ein Infanterieregiment verfügen wird. Auch eine Luftlandebrigade
und das Kommando Spezialkräfte zählen zu dieser Kategorie.
Zwei Stabilisierungsdivisionen mit jeweils zwei Brigaden bilden den Kern
der Stabilisierungskräfte des Heeres. Sie stellen unsere Beiträge zu
friedenserhaltenden Operationen sicher. Selbstverständlich müssen auch
diese Kräfte zum Kampf befähigt sein – wenngleich nicht unbedingt auf
höchstem taktisch-operativen und technologischen Niveau. Optimiert
werden sie aber auf ihren Hauptzweck hin.
Darüber hinaus verfügen wir noch über zwei Spezialdivisionen: Die
Division Spezielle Operationen führt unsere beiden Luftlandebrigaden und
das Kommando Spezialkräfte. Sie ist befähigt, Evakuierungsoperationen
und andere spezielle Operationen zu führen. Der Division Luftbewegliche
Operationen unterstehen die Heeresfliegertransportregimenter und die
bereits genannte Luftbewegliche Brigade. Sie wird zusätzlich befähigt,
multinationale Stabilisierungsoperationen zu führen, wenn dies auf
Divisionsebene einmal erforderlich werden sollte.
Bei der Ausstattung unserer Kräfte haben wir einen klaren Schwerpunkt. Der Charakter unserer derzeitigen Einsätze erzwingt in vielerlei Hinsicht einen Paradigmenwechsel. Das betrifft in besonderem Maß die Komponente „Schutz“. Natürlich hat der Schutz unserer Soldaten schon immer eine Rolle gespielt. Dennoch hat der eine oder andere von Ihnen, der selbst Wehrdienst geleistet hat, vielleicht noch das Motto in Erinnerung: „Wirkung geht vor Deckung!“. Was zur Verteidigung des eigenen Landes im Zweifelsfall notwendig war, gilt bei der Stabilisierung des Friedens am Hindukusch nicht in gleichem Maße. Gerade bei solchen Einsätzen haben wir die Verpflichtung, alles Erdenkliche zu tun, um die Risiken für unsere Soldaten auf ein vertretbares Maß zu begrenzen. Das verlangt die Fürsorge gegenüber unseren Soldaten.
Bei dem Aspekt „Schutz“ denkt man zunächst an die
Schutzkomponenten gepanzerter Fahrzeuge oder den unmittelbaren
Körperschutz des einzelnen Soldaten. Tatsächlich muss man den
Schutzbegriff umfassender verstehen. Neben den konventionellen
Schutzmethoden steht das Bemühen, den Soldaten in bestimmten Lagen nicht
mehr zu exponieren. Robotik und Unbemannte Flugkörper für Aufklärung und
Wirkung sowie Abstandsfähigkeit sind hier zu nennen. Und natürlich muss
gerade auch in komplexen Lagen und im multinationalen Umfeld
sichergestellt werden, dass Freund und Feind klar voneinander zu
unterscheiden sind. Darüber hinaus leisten gute Ausbildung,
Nachrichtengewinnung und Aufklärung und nicht zuletzt gute Führung einen
bedeutenden Beitrag zum Schutz unserer Soldaten.
Deshalb haben wir unsere modernsten Führungssysteme und die modernsten
Mittel zur Aufklärung, einschl. der Aufklärungsdrohe LUNA, im Einsatz.
Und natürlich nutzen wir auch unsere modernsten geschützten Fahrzeuge in
den Einsatzgebieten. Langfristig streben wir an – und an der
Beschaffungsfront kämpfen wir beständig dafür -, unsere Einsatzkräfte
möglichst umfassend mit geschützten Fahrzeugen auszustatten. Dies kann
aus finanziellen und produktionstechnischen Gründen natürlich nicht von
heute auf morgen geschehen. Schon heute haben wir aber eine beachtliche
Zahl an gut geschützten Fahrzeugen im Einsatz - übrigens in vielen
Fällen deutlich besser geschützt als z.B. die der Amerikaner.
Für unterschiedliche Aufträge brauchen wir aber auch eine unterschiedliche Ausstattung. Der vorzügliche DINGO z.B., in dem im Juni bei einem schweren Minenunfall die Besatzung nahezu unbeschadet davon kam, ist aufgrund seiner Größe nicht für alle Aufgaben ideal geeignet. Daher benötigen wir eine Palette von geschützten Fahrzeugen abhängig von Auftrag, Verbringungsart und Geländeverhältnissen. Für Evakuierungsoperationen brauchen wir beispielsweise ein Fahrzeug, das sich in unserem Transporthubschrauber CH-53 transportieren lässt. Dies limitiert Ausmaße und Gewicht. Der für diese Zwecke beschaffte ESK MUNGO ist das beste, das es weltweit für diesen Zweck gibt; aufgrund der Gewichtsobergrenze aber eher mäßig geschützt. Unser in großen Stückzahlen vorhandenes Kleinfahrzeug Wolf, ein Jeep könnte man sagen, ist ursprünglich ungeschützt. Wir haben es für den Einsatz durch unterschiedliche Zusatzausstattungen auf ein höheres Schutzniveau gebracht. Z.Z. sichten wir den Markt neuerer geschützter Kleinfahrzeuge. Mit dem DINGO 2 läuft gerade ein Fahrzeug zu (55 sind derzeit bestellt), das in der mittleren Gewichtsklasse von ca. 10 Tonnen im Minenschutz weltweit unübertroffen ist. Da die Physik sich nicht überlisten lässt, ist der ballistische Schutz zwar beachtlich, aber für ein robusteres Umfeld nicht ausreichend. Daher brauchen wir für unsere Infanteriegruppen den BOXER und für die Panzergrenadiertruppe den Schützenpanzer PUMA. Vom Boxer existieren Prototypen. Beim PUMA wird ein sog. Demonstrator noch in diesem Jahr zulaufen. Der PUMA ist ein Kettenfahrzeug mit modularen Schutzpaketen, das in seiner Basisausstattung in das künftige Transportflugzeug A 400 M passt. Er ist ein High-Tech-Produkt der Spitzenklasse. Die beiden wichtigsten Firmen der deutschen panzerbauenden Rüstungsindustrie, Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall Landsysteme, haben sich für dessen Entwicklung und Produktion unter dem gemeinsamen Dach der Fa. PSM zusammengefunden.
Im unteren und mittleren Bereich der geschützten Fahrzeuge haben
wir einen guten Anfang gemacht, auf dem sich aufbauen lässt; im oberen
Schutzbereich müssen wir allerdings mit den beiden genannten Fahrzeugen
noch deutlich zulegen. Insgesamt stehen wir bei der Ausrüstung unserer
Truppenteile im Hinblick auf die neuen Aufgaben nicht schlecht da. Ohne
auf Einzelheiten eingehen zu können, möchte ich Ihnen einige wenige
Projekte nennen, die wir in absehbarer Zeit im Heer einführen.
Der Schwerpunkt liegt unverändert bei der Führungsfähigkeit, die wir
zielgerichtet in Richtung auf eine netzwerkbasierte Operationsführung
hin weiterentwickeln. Dafür forcieren wir die Einführung des sog.
Führungsinformationssystems des Heeres. Der „Infanterist der Zukunft“
ist ein komplexes modular ausgelegtes System für die Infanteriegruppe in
Stärke von 10 Soldaten. Es beinhaltet Führungs-, Schutz- und
Wirkungskomponenten. Die ersten 15 Systeme, also die Ausrüstung für 150
Soldaten, sind beim Provincial Reconstruction Team in KUNDUS im Einsatz.
Bereits im Zulauf sind der Spähwagen FENNEK und ab 2006 der
Unterstützungshubschrauber TIGER.
Ein Hochtechnologieland wie die Bundesrepublik Deutschland muss seinen Streitkräften natürlich das Beste an Ausrüstung mitgeben, was es gibt. Bei aller Bedeutung der Technik gilt aber unverändert, dass der Mensch im Mittelpunkt des Geschehens steht. Deshalb lehnen wir auch den Begriff „Network Centric Warfare“ ab. Ohne die Qualität und die Motivation unserer Soldatinnen und Soldaten wäre unser militärisches Instrument nicht viel wert. Ich bin deshalb sehr froh, dass ich Ihnen sagen kann: Qualität und Motivation der Truppe sind vorzüglich. Das erlebt man am besten, wenn man unsere Truppe im Einsatz sieht. General Clauß wird darüber berichten. Der frühere amerikanische Heereschef, General Shinseki, hat, als er noch Oberbefehlshaber in Bosnien war, die deutschen Soldaten mit den Worten beschrieben: „The guys with the bright eyes.“ Frauen hatten wir damals – mit Ausnahme des Sanitätsdienstes – noch nicht in den Streitkräften. Ich bin sicher, General Shinseki würde sein statement heute zwar ohne Bezug auf das Geschlecht, sonst aber unverändert wiederholen.
Meine Damen und Herren,
Ich konnte Ihnen hoffentlich einen kleinen Eindruck von dem vermitteln,
wozu das Heer da ist und wie wir unsere Aufgaben wahrnehmen. Natürlich
war das im Rahmen dieses Vortrags nur schlaglichtartig möglich. Wir
können die Bereiche, zu denen Sie noch Fragen haben sollten, aber gern
in der Diskussion aufgreifen. Zunächst aber übergebe ich an General Clauß,
den Kommandeur der 7. Panzerdivision – leider der letzte dieses
traditionsreichen Großverbandes.