Ein wenig erfolgreiches Plädoyer
Am 6. Februar 2006 hatte ich beim Verwaltungsgericht Köln Klage gegen die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand eingereicht. Am 21. Dezember 2007 fand die Hauptverhandlung statt. Die Kammer war mit drei Berufsrichtern und zwei Laienrichtern besetzt. Ich nutzte die Gelegenheit, als Kläger noch einmal aus meiner Sicht vor allem mit Blick auf die Laienrichter einige wesentliche Aspekte des Verfahrens zu erläutern. Da ich wusste, dass das Gericht meine Ausführungen jederzeit als nicht entscheidungserheblich „abwürgen“ konnte, fühlte ich mich etwas unter Druck. Daher habe ich – auch wegen einiger Unterbrechungen - mein Konzept nicht ganz umsetzen können. Fairerweise ließ man mich jedoch die meisten meiner Punkte vortragen. Genutzt hat es allerdings nicht: Die Klage wurde abgewiesen.
Das Plädoyer:
Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren Richter,
fast zwei Jahre lang sind in diesem Fall Schriftsätze ausgetauscht
worden. Aber erst die Vorlage der Originalakte des BMVg vom 28.12.2005
zu meiner Zurruhesetzung vor wenigen Tagen hat erkennen lassen, dass wesentliche
- für den Minister entscheidungserhebliche - Umstände in keiner Weise
dokumentiert worden sind. Ich selbst habe glücklicherweise soweit
Kenntnis von dem Vorgang, dass man die Abläufe plausibel nachvollziehen
kann. Ich will und kann Ihnen verdeutlichen, dass der angebliche
Vertrauensverlust des Ministers gegenüber dem Bundespräsidenten nur
vorgeschoben wurde. In Wirklichkeit hatte Staatssekretär Dr.
Wichert Minister Dr. Jung in eine Position gebracht, in der
er gar nicht mehr anders handeln konnte. Natürlich würde er das, wenn er
hier stünde, nicht einräumen, weil es ihn seinen Job kosten könnte.
Erlauben Sie mir zwei Bemerkungen vorweg:
Ich war schon etwas erstaunt – um das zurückhaltend zu formulieren -,
dass das Gericht im Zuge des Eilverfahrens festgestellt hat, die Anwendung
des § 50 Soldatengesetz gegen mich stelle keine
Disqualifizierung des Soldaten dar. Sie sei ausschließlich eine
dienstrechtliche Maßnahme im Interesse der politischen Staatsführung.
Dies klingt so, als hätten Sie über eine ganz normale
Verwaltungsmaßnahme zu entscheiden: Es wurde jemand in den Ruhestand
versetzt und nun bemüht er die Gerichte, weil er beleidigt ist, dass
seine Pension niedriger ausfällt, als er sich das eigentlich
ausgerechnet hatte.
Die Wirklichkeit sieht etwas anders aus: Nach fast vierzig
Berufsjahren wurde ich ohne jede Vorankündigung wie ein Dieb vom
Hühnerhof gejagt - ohne irgendeine Würdigung oder Anerkennung
eines jahrzehntelangen Berufslebens im Dienste dieses Staates. Ich
erhielt keine Verabschiedung und hatte auch meinerseits keine
Möglichkeit, mich wenigstens bei meinen internationalen
Gesprächspartnern zu verabschieden – ein Vorgang von hoher Peinlichkeit
für mich persönlich, aber auch für unser Land. Meine Reputation
wurde verleumderisch beschädigt; denn ich wurde als kungelnder General
apostrophiert, der seinen rechtsextremistischen Sohn schützen wolle. Ich
wurde durch meinen Minister kriminalisiert, der vor dem
Verteidigungsausschuss und dem Führungskreis des Heeres darauf hinwies,
dass mein Handeln strafrechtlich relevant sei, obwohl diese Bewertung
bereits von dem Wehrdisziplinaranwalt, der mit den Vorermittlungen
betraut war, nicht geteilt wurde!
Meine gesamte Familie wurde an den Pranger gestellt, mein Sohn, der nicht einen Hauch an Sympathie für rechtsextremistisches Gedankengut hat, als „rechtsextremistischer Generalssohn“ in die Medien gebracht. Dabei liegt hier ein Schreiben an General Dieter vom 23.11.2007 vor mir, in dem das BMVg einräumt, meinen Sohn zu keiner Zeit – ich wiederhole: zu keiner Zeit – als rechtsextremistisch orientiert bewertet zu haben! Noch heute finden Sie dennoch diese Wendung in vielen Artikeln im Internet; sie wird ihn wohl sein Leben lang begleiten. Einen solchen Vorwurf – wider besseres Wissen – in die Öffentlichkeit zu transportieren – und das gegenüber einem jungen Mann, der damals gerade 23 Jahre alt war, ist nicht nur perfide; es ist menschenverachtend! Ich selbst habe seit fast zwei Jahren keine Ruhe gefunden, weil ich einfach nicht glauben wollte, dass ein solches Bubenstück in meiner Bundeswehr, in unserem Staat möglich sei. Ist dies – frage ich Sie – eine ganz normale dienstrechtliche Maßnahme im Interesse der politischen Staatsführung, die keine Disqualifikation des Soldaten darstellt?
Ein Zweites treibt mich um, nämlich dass dieses Verfahren heißt: Jürgen Ruwe gegen die Bundesrepublik Deutschland. Ich streite nicht gegen die Bundesrepublik Deutschland! Für die habe ich mich fast 40 Jahre lang zerrissen; mit einem Dienst der oftmals 80 Wochenstunden überstieg. Ich habe dies nicht getan, um Karriere zu machen; dann hätte ich mich in vielen Situationen anders verhalten. Ich habe es für die Bundeswehr, für unseren Staat getan und 1991 dafür das Bundesverdienstkreuz erhalten. Ich führe dieses Verfahren nicht gegen die Bundesrepublik Deutschland, ich führe es für die Bundesrepublik Deutschland. Und ich streite auch nicht gegen das BMVg. Ich habe in diesem Ministerium mit Unterbrechungen seit 1980 gedient. Ich kenne unser Haus ungleich länger und besser als diejenigen, die über meine Entlassung befunden haben, und habe auch heute noch Freunde dort. Ich streite für das BMVg, damit sich solche Vorkommnisse nicht wiederholen, und ich streite für die Bundeswehr; denn die Truppe im Einsatz hat keine Führung verdient, die sich an den Grundprinzipien der Inneren Führung versündigt. Und glauben Sie mir: Dieses Verfahren wird in der Bundeswehr mit Aufmerksamkeit verfolgt. Ich führe es vor allem, damit sich ein solcher Fall nicht wiederholt.
Nun zum angeblichen Vertrauensverlust des Ministers:
Wenn Minister Dr. Jung mein Verhalten und das von
General Dieter für geeignet hielte, sein Vertrauen in uns zu verlieren,
dann hätte er nicht Generalinspekteur Schneiderhan im Juli dieses
Jahres sein ganz besonderes Vertrauen erwiesen, indem er dessen
Dienstzeit über die Altersgrenze hinaus bis Mitte 2009 verlängert hat.
Der Minister hat dies getan, obwohl ihm seit fast zwei Jahren bekannt
ist, dass der Generalinspekteur von General Dieter bei dem
inkriminierten Vorgang über all seine Schritte vorab unterrichtet wurde
und daran keinerlei Anstoß genommen hat. Der Minister würde ja
nicht dem Mitwisser schwerwiegender Dienstvergehen oder gar einer
Straftat sein besonderes Vertrauen erweisen.
Und tatsächlich ist dieser Vorwurf natürlich unsinnig. Wie sonst wäre es zu erklären, dass weder meine knapp ein Dutzend Gesprächspartner bei der Tagung des Bundeswehrverbandes, in der mir General Dieter die Meldung des Streitkräfteamtes zu meinem Sohn übergeben hat, noch ich selbst – und ich verfüge über einige Erfahrung in Disziplinarangelegenheiten - in dem Vorgang ein Dienstvergehen gesehen haben. Auch der Rechtsberater des Inspekteurs, den ich unmittelbar danach eingeschaltet hatte, nahm an dem Vorgang keinerlei Anstoß. Im übrigen: Wer annimmt, sein Verhalten verstoße gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit, verhält sich wahrlich anders.
Erst als die Personalabteilung von diesem Vorgang erfuhr, glaubte man dort, ohne überhaupt die näheren Umstände zu kennen, man könne ihn nutzen, um sich zweier Generale zu entledigen, die für den Generalinspekteur aus unterschiedlichen Gründen unbequem geworden waren. Deshalb machte man aus einem normalen Vorgang ein schwerwiegendes Dienstvergehen mit strafrechtlicher Relevanz, weil man ihn nur so als Vorwand für die von vornherein intendierte Anwendung des § 50 Soldatengesetz nutzen konnte. Der erste Versuch scheiterte allerdings, weil dem Vernehmen nach Minister Dr. Struck an dieser Angelegenheit in den letzten Tagen seiner Amtszeit wenig Gefallen fand: Das legt mal meinem Nachfolger auf den Tisch. Damit der das Kuckucksei nicht gleich erkannte, wartete man drei Wochen, bis Staatssekretär Biederbick gerade die Amtsgeschäfte an Dr. Wichert übergab.
Am 12.12.2005 wurde dem Minister die Angelegenheit vorgelegt. Die
Vorlage zielte von Beginn an auf die weitestgehende Konsequenz, nämlich
die Entlassung nach § 50 Soldatengesetz. Man musste nur noch den
Minister dazu bewegen. Das Ganze geschah zu einem Zeitpunkt, als die
beiden Betroffenen nicht im Entferntesten ahnten, dass ihnen eine
Verletzung von Dienstpflichten vorgeworfen wurde.
In einer Staatssekretär-Vorlage führte der zuständige Referatsleiter PSZ
I 7 am 20.12.2005 aus, er halte „bei jeder Lösung, die die
Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nach § 50
Soldatengesetz zum Gegenstand hat, ein Gespräch der Leitung mit den
davon betroffenen Soldaten für zwingend erforderlich“! Staatssekretär Dr.
Wichert entschied anders: Er wollte die Betroffenen über diese Absicht
und über die Schwere der Anschuldigung nicht informieren, damit sie sich
nicht dagegen wehren konnten. So hat mich dann auch der vernehmende
Wehrdisziplinaranwalt in keiner Weise darauf hingewiesen, wie man in der
Personalabteilung die Dinge schon im Voraus bewertet hatte. In der
Gewissheit, nichts Unrechtes getan zu haben, war ich der festen
Überzeugung, nach meiner Stellungnahme sei die Angelegenheit geklärt.
Während die Betroffenen in Unwissenheit gehalten wurden, wollte Staatssekretär Dr. Wichert, den Coup dadurch absichern, dass er die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Frau Ulrike Merten, und den Wehrbeauftragten des Bundestages, Herrn Reinhold Robbe, vorab über den Disziplinarfall unterrichtete. Dies ist ein klarer Verstoß gegen § 9 der Wehrdisziplinarordnung und aus meiner Sicht eine Straftat. Ich habe deswegen im Februar 2006 Strafanzeige gegen Staatssekretär Dr. Wichert gestellt. Dieser wusste natürlich, dass nichts, was an das Parlament geht, geheim bleibt. Das hatte er uns häufig genug in Besprechungen eingebläut. Tatsächlich ist dies auch nicht geheim geblieben. Der Abgeordnete Arnold hat mir am 25.01.2006 erklärt, bereits lange vor der Presseveröffentlichung im Spiegel habe es einen großen Kreis von Wissenden gegeben. Dieser Vorgang ist ein äußerst schwerwiegender Verstoß gegen die Grundsätze der Inneren Führung; er erinnert an Stasi-Methoden!
Damit er eine Grundlage für die beabsichtigten Unterrichtungen hatte, forderte der Staatssekretär am 28.12.2005 eiligst die Entscheidungsvorlage für den Minister an, obwohl der sich in Urlaub befand und nicht einmal der Zwischenbericht des eingesetzten Wehrdisziplinaranwalts geschweige denn dessen Bewertung durch den Minister vorlagen. Diese Vorlage wurde schnell zusammengestellt, das Zwischenergebnis des Wehrdisziplinaranwalts fernmündlich abgefragt (!) und dabei großzügig übersehen, dass dieser eine strafrechtliche Relevanz nicht erkennen konnte. In dieser Vorlage wurde erneut der Topos „hochrangige Offiziere der Bundeswehr, die rechtsextremistischen Generalssohn schützen“ benutzt, obwohl das Referat wusste, dass dies nicht zutraf. Ein Ausbund an Perfidie! Der Verfasser ist übrigens der Herr in Uniform dort in der ersten Reihe.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurden die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und der Wehrbeauftragte just mit diesem Tenor unterrichtet. Ich habe an beide mit dem Hinweis auf die heutige Verhandlung ein Auskunftsersuchen in dieser Angelegenheit gerichtet. Beide haben sich jedoch - für mich unverständlich – geweigert, sich angesichts eines laufenden Verfahrens zu dieser Frage zu äußern. Die Antworten sprechen für sich, denn sie bestätigen indirekt meine Annahme. Ich kann dem Gericht meine Schreiben und die Antworten dazu überlassen.
Dann passierte Mitte Januar 2006 doch noch ein Betriebsunfall; denn ich erfuhr in Berlin gerüchteweise von der Absicht, mich zu entlassen. Am nächsten Morgen habe ich den Staatssekretär zur Rede gestellt. Er bestätigte, dass es die Überlegung gebe, mich nach § 50 Soldatengesetz in den Ruhestand zu versetzen, es sei aber noch nichts entschieden. Inwiefern mein Verhalten ein schwerwiegendes Dienstvergehen darstelle, konnte er nicht erläutern, sondern verwies auf die Bewertung Anderer. Ich selbst habe keine Zweifel daran gelassen, dass ich ein solches Vorgehen nicht unwidersprochen hinnehmen würde und verlangt, die Vorwürfe in einem ordentlichen Disziplinarverfahren zu klären. Noch am selben Tag wurde die Meldung an den Spiegel durchgestochen.
Da Minister Dr. Jung offensichtlich falsch unterrichtet worden war, habe ich ihm in einem Brief den Vorgang und meine Bewertung geschildert und um ein Gespräch gebeten. Aus diesem Schreiben hätte der Minister im übrigen entnehmen können, dass ich meinem Sohn den strittigen Vermerk nicht in Gänze zur Kenntnis gegeben hatte. Von daher hätte er erkennen können, dass die Aussage in seinem Schreiben an den Bundespräsidenten, ich hätte den Sachverhalt eingeräumt, falsch war. Das Gespräch wurde mir nicht gewährt. Mein Schreiben ist in der Dokumentation des BMVg ebenfalls nicht enthalten. Ob es der Minister überhaupt zu Gesicht bekommen hat oder ob es ihm vorenthalten wurde, weiß ich daher nicht. Dabei hätte es – wie erwähnt – durchaus Bedeutung für die Unterrichtung des Herrn Bundespräsidenten gehabt.
Einem wichtigen Abgeordneten der CDU/CSU habe ich an jenem Wochenende zu vermitteln versucht, dass der Minister im Begriff sei, einen kapitalen Fehler zu begehen. Die Rückmeldung war, der Minister könne von seiner Position nicht abgehen; ihm seien die Hände gebunden. Ich hatte das damals nicht verstanden. Im Nachhinein hat der Minister diese Wendung „ihm seien die Hände gebunden“ noch mehrfach wiederholt, z.B. wenige Tage nach meiner Entlassung im Führungskreis des Heeres. Heute weiß ich, was damit gemeint war. Dem Minister waren die Hände gebunden worden – und zwar durch
1. die unwahre Behauptung eines schwerwiegenden
Dienstvergehens,
2. die angebliche strafrechtliche Relevanz des Vorgangs,
3. den perfiden Topos „der kungelnden Generale, die den
rechtsextremistischen Sohn des einen schützen wollten“,
4. die Vorabunterrichtung des Wehrbeauftragten,
5. die Vorabunterrichtung der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses
und schließlich
6. das Durchstechen der Angelegenheit an den SPIEGEL.
„Wollen Sie sich etwa öffentlich vor kungelnde Generale stellen, die rechtsextremistischen Generalssohn schützen?“, wird man ihn gefragt haben. Mit diesen sechsfach gebundenen Händen hat man dann dem Minister das Schreiben an den Bundespräsidenten vorgelegt. Ob man ihm dabei auch noch die Hand geführt hat, weiß ich natürlich nicht. Das war der angebliche Vertrauensverlust des Ministers.
Später wurde mir berichtet, der Minister sei mit ganz langen Zähnen an die Sache herangegangen, weil ihm sein politisches Gespür sagte, dass er mit dem Rausschmiss zweier hochangesehener Generale nun nicht gerade den größten Applaus ernten würde. Die Umstände ließen ihm aber wenig Raum; er musste behaupten, er habe das Vertrauen in mich verloren. Wenn er dem zögernden Bundespräsidenten, der aufgrund der Berichterstattung in der Presse erkennbar irritiert war, die wahren Zusammenhänge vorgetragen hätte, wären General Dieter und ich noch im Dienst. Denn der Bundespräsident hätte sich sicherlich nicht dazu hergegeben, die selbstgemachten Probleme des BMVg dadurch zu lösen, dass die Opfer einer Intrige und nicht deren Urheber aus dem Dienst entfernt wurden.
Nach unserer Entlassung wusste der Minister bald, dass ihm nicht korrekt vorgetragen worden war; aber nun war es nicht mehr zu ändern. Alle Beteiligten an dem unsäglichen Verfahren saßen in einem Boot, und da sitzen sie heute noch und unternehmen alles, damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt - bis hin zur Täuschung von Gerichten. Für mich stellt sich die Frage: Wie viele Rechtsverstöße muss eigentlich eine Behörde in der Vorbereitung einer Maßnahme begehen, damit diese selbst auch rechtswidrig ist?