Die denkwürdigen Erlebnisse eines jungen Offiziers
Eine unendliche Geschichte - Teil III
(November 2007)
Mitte Februar 2007 wird der Antrag des Leutnants, sein Verfahren entweder einzustellen oder endlich vor Gericht zu bringen, vom Truppendienstgericht als unbegründet zurückgewiesen. Die WDO sieht vor, dass der Wehrdisziplinaranwalt spätestens sechs Monate nach der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens die Anschuldigung vorlegen muss. Als im Dezember 2006 bereits neun Monate vergangen waren, hatte der Leutnant der Verschleppungstaktik ein Ende machen wollen und das Truppendienstgericht angerufen. Der Richter meinte jedoch, angesichts der ihm vorgeworfenen Dienstvergehen müsse man den Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abwarten. „Es dreht sich alles im Kreis. Man kämpft gegen Windmühlenflügel“, sagte der Leutnant, „es gelingt ihnen, was ich nie für möglich gehalten hätte: Sie verzögern das Verfahren sogar bis in die Diplomphase meines Studiums hinein. Das ist eine bodenlose Sauerei. Und weder das Truppendienstgericht noch das Bundesverwaltungsgericht durchschauen dieses Spiel.“ „In Dein Verfahren wird erst wieder Bewegung kommen“, entgegnete sein Vater, „wenn die Antragsverfahren von General Dieter und mir beim 2. Wehrdienstsenat abgeschlossen sind. Darauf mache ich jede Wette.“ „Was schätzt Du, wann das sein wird?“, erkundigt sich der Leutnant vorsichtig. „Wir sollen noch im März erfahren, ob – wie von mir beantragt – eine mündliche Verhandlung angesetzt wird. Ich rechne dann mit April.“
Ostern verbringt der Leutnant zu Hause in Bonn. „Ich habe gerade erfahren, dass der 2. Wehrdienstsenat unseren Antrag, festzustellen, dass unser Verhalten kein Dienstvergehen darstellt, abgelehnt hat“, berichtet sein Vater, „mehr ist aus dem nackten Beschluss nicht zu entnehmen. Wir müssen erst die Begründung abwarten. Weil dieses Verfahren für die Betroffenen offenbar nicht so wichtig ist, musste sich der Senat auch keine großen Umstände machen. Er hat ohne mündliche Verhandlung und ohne militärische Beisitzer entschieden. Vielleicht waren solche Beisitzer bereits in Deinem Antragsverfahren wegen der Verfahrensverschleppung zu aufsässig und wollten nicht begreifen, dass das Ministerium Beschwerden nicht zu bearbeiten braucht. Im übrigen hat man uns nicht einmal vorher mitgeteilt, dass man nun ohne mündliche Verhandlung beschließen werde. Auf diese Weise haben wir auch den letzten Schriftsatz des BMVg nicht korrigieren können, in dem der zuständige Referatsleiter in der Personalabteilung, Herr Oberst K., der auch Deine Beschwerde bearbeitet hat, dem Gericht nachweisbar unzutreffende Angaben über die personellen Zuständigkeiten im BMVg gemacht hat. Nach diesem Prozedere solltest Du Dir auch keine allzu großen Hoffnungen in Bezug auf Dein Beschwerdeverfahren zur Einweisung in die Psychiatrie machen. Aber immerhin gibt es jetzt eigentlich keinen Grund mehr, Dein Verfahren weiter zu verschleppen.“
Wenige Tage später erfährt der Leutnant in der Tat von seinem Anwalt, der Wehrdisziplinaranwalt habe nunmehr endlich die Schlussanhörung in seinem Verfahren terminiert; sie sei für Anfang Mai vorgesehen. „Ich möchte auf jeden Fall daran teilnehmen“, sagt sein Anwalt.
Ende April 2007 liegt die Beschlussbegründung des 2. Wehrdienstsenat in der Disziplinarangelegenheit seines Vaters vor. „Der Senat ist in der Sachverhaltsdarstellung mir – und nicht dem BMVg – gefolgt“ berichtet sein Vater, „d.h. es wird nicht mehr unterstellt, dass ich Dir den gesamten Vermerk des Wehrdisziplinaranwaltes zur Kenntnis gegeben habe.“ „Dann besteht Dein Dienstvergehen also darin, dass Du mich mit den falschen Vorwürfen konfrontiert hast, die mir längst hätten bekannt gegeben werden müssen, bevor man sie mit breitem Verteiler an alle Welt transportiert?“, fragt der Leutnant ungläubig. „Ja, der Senat meint sogar, ich hätte vorsätzlich gehandelt, denn ich hätte eigentlich erkennen müssen, dass ich Dich nicht informieren durfte.“ „Aber General Dieter als höhere Einleitungsbehörde hatte Dich doch gebeten, mit mir zu sprechen. Worüber hättest Du denn mit mir reden sollen, wenn nicht über die Vorwürfe?“ „Das frage ich mich auch.“ „Und was sagt der Senat zu dem rechtswidrigen Verhalten des Wehrdisziplinaranwalts?“ „Dazu sagt er nichts. Auch nicht zu dem Aufdruck auf dem Vermerk ‚Nicht zu den Akten’, der in einer Disziplinarsache an sich schon ein Skandal ist.“ „Du hast mir aber doch erzählt“, gibt sich der Leutnant immer noch nicht zufrieden, „General Dieter habe den Generalinspekteur vorher informiert und Du habest den Vorgang an Deinen damaligen Rechtsberater gegeben. Was ist denn damit?“ „Darauf gehen die Richter nicht ein. Ich habe große Schwierigkeiten, ihrer Argumentation zu folgen. Das Problem ist aber, dass der Wehrdienstsenat in unserem Fall zwar die erste, aber zugleich auch die letzte Instanz ist. Ich finde das Ganze derart absurd, dass ich prüfen werde, ob ich dagegen nicht Verfassungsbeschwerde einlegen kann.“
Die Schlussanhörung des Leutnants findet im Beisein seines Anwalts Anfang Mai statt. Der Wehrdisziplinaranwalt hat gewechselt. Jetzt tritt der Vorgesetzte des ursprünglich ermittelnden auf. Als erstes erklärt er dem Leutnant, der Vorwurf der „Sieg Heil“-Äußerung werde fallen gelassen. Im übrigen habe die Wehrdisziplinaranwaltschaft nie unterstellt, dass er rechtsextremistischem Gedankengut anhänge. Es werde ihm vielmehr vorgeworfen, er habe sich in einer Weise geäußert, die von Dritten habe missverstanden werden können! „Das sagen die mir nach mehr als anderthalb Jahren und haben nichts unternommen, als mir in den Medien das Etikett eines Rechtsradikalen angehängt wurde“, denkt der Leutnant in ohnmächtigem Zorn. Auch wenn es ihn einiges an Überwindung kostet, hält er angesichts der vorhergehenden Ermahnungen seines Vaters und seines Anwalts seine Zunge im Zaum und bemüht sich, die weiteren Fragen sachlich zu beantworten. „Haben Sie gemerkt: Man wirft Ihnen vor, dass Sie das intellektuelle Vermögen einiger Ihrer Kommilitonen überschätzt haben“, sagt sein Anwalt süffisant beim Hinausgehen. „Dafür ist ja ein Beförderungsverbot das Mindeste, was angemessen ist“, meint der Leutnant, „mehr als vier Monate habe ich jetzt ja schon ohne jede Gerichtsverhandlung; mal sehen, wie viele es insgesamt werden, bis die Verhandlung angesetzt wird.“
Zwei Wochen später ruft ihn sein Anwalt an. Die Staatsanwaltschaft Hamburg habe das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt, weil sich Hinweise auf ein strafbares Handeln nicht ergeben hätten. „Das muss man sich mal vorstellen“, sagt er seinem Vater, „ein Vorwurf, der schon im Ansatz als verleumderisches Gerücht zu erkennen war und sich in wenigen Tagen oder Wochen hätte klären lassen, beschäftigt anderthalb Jahre einen Wehrdisziplinaranwalt und mehr als ein Jahr lang die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt.“ „Und diejenigen, die gefordert haben, die Ermittlungen zügig und nach den Grundsätzen der Wehrdisziplinarordnung zu führen, hat man schnöde aus dem Dienst entfernt“, merkt sein Vater bitter an, „wir leben halt in einem Rechtsstaat. Hast Du das noch nicht gemerkt?“ „Doch, ich merke das täglich. Sag mir lieber, wie weit Du mit Deiner Verfassungsbeschwerde bist.“
„Sie ist nahezu fertig. Ich wollte sie erst selber entwerfen, hatte dann aber die Sorge, das Verfassungsgericht könnte das als Missachtung auffassen. Der Anwalt, der mich vertritt, ist ein Experte auf dem Gebiet des Datenschutzes. Die Begründung, wie wir sie jetzt gefasst haben, erscheint mir außerordentlich stringent. Aber das Verfassungsgericht kann nur einen ganz geringen Teil aller eingehenden Beschwerden überhaupt annehmen. Ich hoffe mal, dass der Richter, der sie zuerst in die Hand bekommt, angesichts der eklatanten Grundrechtsverstöße in diesem Fall zu der Auffassung gelangt: ‚Das kann man wirklich so nicht hinnehmen.’ Weil wir knapp in den Fristen sind, werde ich die Beschwerde selbst nach Karlsruhe bringen und sie dort abgeben. Dann kann man nur noch hoffen und beten. - Aber noch wichtiger ist mir, dass Dein Verfahren endlich zu seinem Ende kommt. Halt mich auf dem Laufenden.“
Mitte Juni erhält der Leutnant endlich die Anschuldigungsschrift.
Einen Kommentar zu diesem Geschehen finden Sie auch auf der Website von Generalleutnant a.D. Dieter .