Streit um Richterauswahl – Minister Jung im Kreuzfeuer
(Oktober 2009)
Die Medien – u.a. die Frankfurter Rundschau, die TAZ, heute auch der Bonner Generalanzeiger – kommentieren in diesen Tagen sehr kritisch die Ablehnung eines Bundesrichters durch den Bundesminister der Verteidigung. Minister Jung hatte - erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik - einen früheren Wehrdienstverweiger als Richter für den 2. Wehrdienstsenat nicht akzeptiert. Der Minister hatte dabei von einer Regel Gebrauch gemacht, die in der Wehrdisziplinarordnung verankert ist. Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, der Vorsitzende des Bundes deutscher Verwaltungsrichter und die in der Gewerkschaft VER.DI organisierten Richter haben dies jedoch als schwerwiegenden Eingriff in die Unabhängigkeit der Gerichte scharf kritisiert. Die Bestimmung in der Wehrdisziplinarordnung, die diese Eingriffsmöglichkeit regelt, sei ein alter Zopf aus dem Kalten Krieg, der abgeschnitten gehöre. Auch die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung wurde angezweifelt.
Als jemand, der persönlich und in seiner Familie von Rechtsverletzungen des Bundesministeriums der Verteidigung in schwerwiegender
Weise betroffen war und sich öffentlich dagegen zur Wehr gesetzt hat, stehe ich nicht unbedingt in dem Verdacht, ein mögliches
Fehlverhalten des Bundesministers der Verteidigung mit dem Mäntelchen der Liebe zudecken zu wollen. Dennoch stelle ich fest:
Die meisten Kommentare gehen an der Sache vorbei und zeugen von geringer Rechtskenntnis. Die Ablehnung des Richters
Dr. Wysk für den 2. Wehrdienstsenat war nicht nur rechtlich möglich, sondern
aus sachlichen Gründen auch zwingend geboten.
Unakzeptabel ist nämlich, dass die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts seit vielen Jahren die Zuordnung der Richter zu den Wehrdienstsenaten von keinerlei Sach- und Fachkenntnis über die Bundeswehr abhängig macht. Dabei lässt sie außer Acht, dass diese beiden Senate, die früher auch örtlich vom Hauptsitz des Bundesverwaltungsgerichts getrennt waren, einen Sonderstatus haben. Als 2. (und letzte) Instanz sind sie Bestandteil der Wehrjustiz; sie befassen sich ausschließlich mit bundeswehrinternen Fragen. Der durch die kritisierte Entscheidung betroffene 2. Wehrdienstsenat ist die Berufungsinstanz in Disziplinarangelegenheiten.
Die Behauptung in den Medien, der Senat habe u.U. darüber zu entscheiden, ob der Luftangriff in Kundus rechtmäßig gewesen sei, ist irreführend. Die Frage, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten von Soldaten vorliegt, wird von Staatsanwaltschaften geprüft und ggf. vor einem „normalen“ Strafgericht verhandelt. Beim 2. Wehrdienstsenat könnte allenfalls die Frage landen, ob Dienstvergehen begangen wurden - dies allerdings nur, wenn der Minister oder eine untergeordnete Einleitungsbehörde der Bundeswehr ein gerichtliches Disziplinarverfahren einleitet. Selbst dann, wenn ein Betroffener die Einleitung eines solchen Verfahrens gegen sich selbst zur sog. Selbstreinigung beantragt, - wie Generalleutnant a.D. Dieter und ich das seinerzeit getan hatten - kann das Gericht kein Verfahren erzwingen, wenn der Bundesminister der Verteidigung dies - wie in unserem Fall - ablehnt.
Die starke Stellung des Bundesministers der Verteidigung ergibt sich aus der Zielsetzung des Disziplinarrechts, das keinen anderen Zweck hat, als die Disziplin in der Truppe aufrechtzuerhalten. Es unterliegt daher auch nicht – wie beim Strafrecht - dem Legalitäts-, sondern dem Opportunitätsprinzip. Zuständig für die Aufrechterhaltung der Disziplin in ihrem Verantwortungsbereich sind in erster Linie die militärischen Vorgesetzen. Sog. Einfache Disziplinarmaßnahmen können sie bei Dienstvergehen selbst verhängen. Schwerwiegende Dienstvergehen, die mit eigenen Mitteln nicht geahndet werden können, werden der Einleitungsbehörde (in der Regel der jeweilige Divisionskommandeur) gemeldet, die dann den zugeordneten Wehrdisziplinaranwalt beauftragt, Ermittlungen aufzunehmen und ggf. ein gerichtliches Disziplinarverfahren einzuleiten.
Disziplinarverfahren werden an Truppendienstgerichten verhandelt, die zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung gehören. Die dort tätigen Richter bekommen ihr Gehalt vom Bundesminister der Verteidigung, der auch maßgeblich an ihrer Auswahl mitwirkt. Berufungsinstanz für Disziplinarangelegenheiten ist – wie bereits erwähnt - der 2. Wehrdienstsenat. Da gelegentlich auch über disziplinare Maßnahmen des Bundesministers der Verteidigung selbst entschieden wird, hat die Einflussnahme auf die Richterauswahl in diesem Senat natürlich ein gewisses Gschmäckle, wie Generalinspekteur Schneiderhan formulieren würde. Aber eines dürfte unbestritten sein: In diesem Senat, dessen Rechtsprechung dazu dient, die Disziplin in der Truppe aufrechtzuerhalten, muss ein Mindestmaß an Kenntnissen über das Innenleben einer Armee vorhanden sein. Dies war über mehrere Jahrzehnte hinweg auch gewährleistet. Noch Mitte der 90er Jahre habe ich als ehrenamtlicher Richter im 2. Wehrdienstsenat selbst erlebt, dass mindestens ein oder zwei der drei Berufsrichter über Erfahrungen in der Bundeswehr verfügten. Die erforderliche Erfahrung lediglich über die militärischen Beisitzer einbringen zu wollen, auf die das Gericht im übrigen bei Antragsverfahren auch schon mal verzichtet, reicht eindeutig nicht aus. Denn erstens sind die beiden Beisitzer gegenüber den Berufsrichtern in Unterzahl, und zweitens werden sie häufig von der geballten Autorität dreier Bundesrichter stark beeinflusst.
Aufgrund einer verfehlten Besetzungspolitik für die Senate verfügt schon seit etlichen Jahren keiner der Berufsrichter mehr über angemessene Erfahrungen in oder mit der Bundeswehr. Dies ist in den vielen Entscheidungen deutlich zu erkennen. Das sog. Pfaff-Urteil und das zu kurz greifende Urteil zum Beurteilungssystem der Bundeswehr (s. mein Beitrag „Neues Beurteilungssystem der Bundeswehr – ein Debakel der Personalführung“ ) sind zwei signifikante Beispiele für die Praxisferne dieses Gerichts. Auch Generalleutnant a.D. Dieter und ich haben in unserem eigenen Fall die Inkompetenz des 2. Wehrdienstsenat zu spüren bekommen, von meinem Sohn ganz zu schweigen (s. auch meine diesbezügliche Verfassungsbeschwerde ).
Der für den 2. Wehrdienstsenat vorgesehene Richter Dr. Wysk hat keinerlei Erfahrungen mit der Bundeswehr. Er hat darüber hinaus den Wehrdienst verweigert. Nach der Rechtsprechung des 6. Senats des BVerwG darf nur derjenige als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, der die Anwendung militärischer Gewalt als "sittlich verwerflich" ansieht. Wie kann jemand mit einer solchen Grundhaltung an der Aufrechterhaltung der Disziplin in den Streitkräften mitwirken wollen?
Hinsichtlich des Bundesrichters Dr. Wysk ist diese Frage im übrigen nicht nur Ausfluss theoretischer Überlegungen; denn er hat seine Grundhaltung auch in seinem richterlichen Handeln dokumentiert. Konkret hat er unlängst, damals noch als Richter am Oberverwaltungsgericht Münster und Berichterstatter in meinem Verfahren auf Wiedereinstellung, den Antrag auf Zulassung der Berufung in äußerst unsachlicher, anmaßender und nahezu beleidigender Form zurückgewiesen. Die Führung der Bundeswehr bezeichnete er dabei als „sog. Machtelite“. Vor allem jedoch hat er durch die Nichtzulassung der Berufung eine Rechtsprechung zum § 50 Soldatengesetz verfestigt, die ich eines Rechtsstaats für unwürdig erachte und die von einem der Richter am Verwaltungsgericht Köln salopp mit den Worten beschrieben wurde: „Der Minister kann bereits sein Vertrauen in Sie verlieren, wenn ihm Ihre Nase nicht passt.“ (s. mein Beitrag „§ 50 Soldatengesetz – ein Zwiegespräch“ oder bei Hans-Heinrich Dieter „Vom Sinn und Unsinn des § 50 Soldatengesetz“ )
Was ich von solchen Richtern halte, habe ich in meinem Schreiben an das Oberverwaltungsgericht Münster deutlich gemacht. Vor solchen Richtern muss man die Bundeswehr bewahren. Dies hat Bundesminister Jung getan.
Unabhängig von diesem Einzelfall muss jedoch die Besetzungspraxis beider Wehrdienstsenate dringend geändert werden. Vielleicht sollte man einmal darüber nachdenken, aufgrund der Sonderstellung der beiden Wehrdienstsenate die Zuordnung der Richter zu ihnen bereits im Richterwahlausschuss vorzunehmen.
Das Bundesministerium der Verteidigung hat allerdings selbst dazu beigetragen, die Wehrjustiz auf einen Weg zu bringen, der mit der ursprünglichen Zielsetzung des Disziplinarrechts nicht mehr viel zu tun hat.