Generalinspekteur lebenslänglich
(Juli 2008)
Generalinspekteur Schneiderhan feiert dieser Tage seinen 62. Geburtstag. Eigentlich wäre dies ein wichtiges Ereignis für die Bundeswehr; denn nach den geltenden Bestimmungen würde er am Ende dieses Monats zur Ruhe gesetzt. Dieser Generalinspekteur ist – wie man der hiesigen Presse entnehmen konnte – ein Glücksfall für die Bundeswehr. Dem hat Minister Dr. Jung Rechnung getragen und bereits vor einem Jahr die Amtszeit General Schneiderhans bis zum Sommer 2009 verlängert. In der vergangenen Woche hat er nun eine erneute Verlängerung bis zum Sommer 2010 bekannt gegeben. Dies ist ein Novum in der Bundeswehr, greift aber zu kurz. Der Kontinuität der Amtsführung halber empfehle ich vielmehr, von einer solchen stückweisen Verlängerung der Amtszeit Abstand zu nehmen und General Schneiderhan zum Generalinspekteur auf Lebenszeit zu ernennen.
Der Generalinspekteur in seiner übergroßen Bescheidenheit ist selbst nicht so weit gegangen. Daher wurde
seinen Bemühungen um eine erneute Verlängerung eine darauf zugeschnittene, allerdings falsche,
Begründung hinterlegt:
Die Nachfolgeregelung solle aus dem nächsten Bundestagswahlkampf herausgehalten werden, hieß es. Es sei
nicht zumutbar, dass nach den Wahlen dann ein neuer Minister mit einem Generalinspekteur zusammenarbeiten
müsse, der ihm womöglich gar nicht genehm sei. Das klingt plausibel, obwohl mir bisher nicht so klar war,
dass ein Generalinspekteur vor allem dem jeweiligen Minister genehm sein muss; denn dann würde es sich ja
anbieten, generell die Amtszeit der Generalinspekteure den Legislaturperioden anzupassen. Bisher war ich
davon ausgegangen, dass es bei der Auswahl des Generalinspekteurs vor allem auf Leistung und Eignung ankomme.
So wurde bis vor wenigen Jahren auch verfahren, ohne dass jemand darin eine Gefährdung des Primats der Politik
gesehen hätte.
Im übrigen ist nicht zu erkennen, wie eine Nachfolgeregelung zum Sommer 2009 in die Wahlkampfdiskussion geraten könnte; denn die Entscheidung über Spitzenstellenbesetzungen in der Bundeswehr wird – wie auch die jetzige Ankündigung des Ministers - üblicherweise ein Jahr vor einem Wechsel getroffen. Sie hätte also, wenn es bei der einmaligen Verlängerung des Generalinspekteurs geblieben wäre, in diesen Tagen angestanden. Gerade mit der Verlängerung der Amtszeit bis zum Sommer 2010 muss die Entscheidung über die Nachfolge im Wahlkampf erfolgen, wenn man nicht eine stark verkürzte Ankündigungszeit in Kauf nehmen will.
Auch ein weiterer Aspekt überrascht: Wieso geht der Generalinspekteur davon aus, dass es nach den Wahlen
einen neuen Minister gibt? Nichts spricht dafür. Eine Regierung ohne Beteiligung der CDU nach den
nächsten Bundestagswahlen erscheint nicht besonders wahrscheinlich. Und weshalb sollte dann die Kanzlerin
auf einen derart kompetenten und allseits geschätzten Minister verzichten? Er vertritt eine klare, leicht
zu vermittelnde Linie in allen wichtigen Sachfragen seines Ressorts, hat sich dank eigener großer
Erfahrungen in der Bundeswehr – zuletzt als Obergefreiter der Pioniertruppe – trotz seiner eher provinziell
geprägten politischen Laufbahn sofort als sicherheitspolitischer Experte höchsten Ranges erwiesen. Er überzeugt
durch geschliffene Rhetorik und selbst Parteifreunde loben ihn über alle Maßen: „Sie müssen mal sehen, mit
welcher Grandezza er über die roten Teppiche schreitet, die ihm überall ausgerollt werden.“ Leider würdigen das
die Medien aus nicht nachvollziehbaren Gründen oftmals nicht ausreichend (s. auch Website GenLt a.D. Dieter
„Minister im Praktikum“
).
Dafür hat Minister Jung aber ganz offenkundig bei der Kanzlerin „einen Stein im Brett“. Wie das Ministerium
jüngst durchsickern ließ,
sind ihre sachkundigen Kommentare zu den Spielen unserer Nationalmannschaft bei der EM maßgeblich auf die
fachliche Beratung durch ihren Tribünennachbarn zurückzuführen, der seinen fußballerischen Sachverstand sogar
noch höher einschätzt als seinen sicherheitspolitischen. Außerdem habe der Minister durch die Eleganz, mit der
er seinen niedlichen Deutschlandschal getragen habe, der Kanzlerin auch noch Nachhilfeunterricht in der
Bekleidungswahl bei solchen Ereignissen erteilt. Auf einen solchen Ratgeber wird die Kanzlerin in der nächsten
Legislaturperiode, in der ja die Fußballweltmeisterschaft stattfindet, sicherlich nicht verzichten wollen.
Auch der Generalinspekteur sieht dies ganz ähnlich. Wie er stets – selbst in intimer Runde – betont, ist er mit
diesem Minister, der es ihm ja auch leicht macht, hochzufrieden. Einen besseren könne er sich gar nicht
vorstellen. Die oben genannte Begründung für die Verlängerung der Dienstzeit des Generalinspekteurs ist also
weder logisch noch besonders überzeugend. Vielmehr sprechen andere gute Gründe dafür.
Vor allem für die Einsätze kann der Generalinspekteur dem Minister den Rücken freihalten. Mangelnde Erfahrung als Truppenführer und in Einsätzen hat er längst kompensiert. Wenn man nämlich annimmt, dass er jährlich 5 - 10 mal für zwei bis drei Tage die Truppe in Auslandseinsätzen besucht, dann verfügt er bereits jetzt über eine Einsatzerfahrung, die an eine normale Kontingentdauer von vier Monaten herankommt. Das ist viel. Man merkt das auch sehr deutlich an dem großen Verständnis, das er für die Belange unserer Soldaten in den Einsätzen aufbringt. Damit er mit noch größerer Autorität und Kompetenz auch Generalen gegenüber auftreten kann, die eine Einsatzverwendung von meist einem Jahr absolviert haben, sollte seine bisherige Amtszeit als Generalinspekteur zumindest verdoppelt werden.
Noch wichtiger ist der Mann für den Minister jedoch im Parlament. Er hält bereits jetzt engste Verbindung zum Koalitionspartner und könnte das in der nächsten Legislaturperiode sicherlich gewinnbringend fortsetzen. Falls sich die SPD in der Opposition wiederfinden sollte, kann der enge Draht dorthin für den Minister auch nicht von Schaden sein. Trotz dieser Bindungen unterstützt der Generalinspekteur natürlich dessen fundamentale sicherheitspolitischen Anliegen nachdrücklich, wenngleich lautlos. Überhaupt erweist sich dieser Generalinspekteur als so flexibel und anpassungsfähig in seinen Positionen, dass ihn alle mögen. Besser geht es eigentlich nicht.
Wie hilfreich er für seinen Minister war, hat sich in den vergangenen Jahren vielfach gezeigt. Hier nur einige Beispiele:
Der Generalinspekteur ist ein Mann der leisen Töne. Jedenfalls hat man von seinen Bedenken gegen das zwar glücklich
ausgegangene, aber dennoch unverantwortliche Kongoabenteuer in der Öffentlichkeit wenig gehört. Dies ist ihm aber
keinesfalls vorzuwerfen, denn der Bundespräsident hatte seine Aufforderung an die militärische Führung, Klartext zu
reden, zu jenem Zeitpunkt ja noch gar nicht geäußert.
Nach einer „Filigranarbeit“ ersten Ranges findet der Generalinspekteur vor wenigen Wochen genau zum richtigen Zeitpunkt die einzig richtige Zahl für die Umfangserhöhung des Afghanistankontingents. Nicht 999, wie das manchem Leisetreter lieber gewesen wäre, sondern mutige 1000. „Wir müssen das nicht ausschöpfen, wir müssen atmen können.“
Mutig legt er sich auch mit all unseren Alliierten an, wenn diese die ungleiche Verteilung der Lasten des Einsatzes dort beklagen, und beteiligt sich kräftig am Schönreden der Lage. Schließlich will die Politik nichts Anderes hören; sie wäre ja sonst gezwungen, etwas zu unternehmen.
Mutig verteidigt er auch – selbst gegen andersdenkende Abgeordnete - den Ansatz, die Bekämpfung von Taliban sofort einzustellen, wenn sie sich nach einem Anschlag auf unsere Soldaten zurückziehen. Einem solch fundierten militärischen Rat kann sich schließlich niemand verschließen. Und natürlich hat der Generalinspekteur recht. Es gehört sich für einen deutschen Soldaten einfach nicht, auf einen fliehenden Taliban zu schießen. Der könnte dabei ja Schaden nehmen, vielleicht sogar zu Tode kommen. Das haben wir doch gar nicht nötig. Entweder geht der Taliban nach seinem Aufeinandertreffen mit deutschen Soldaten klugerweise in sich und wird fortan zu einem nützlichen Glied der afghanischen Gesellschaft, das zu Stabilität und Prosperität seines Landes beiträgt, oder er ist so dumm, wiederum einen Anschlag auf unsere Soldaten zu verüben. In diesem Fall haben sie, wenn sie überleben, dann ja erneut Gelegenheit, sich mit ihm auseinander zu setzen. „Wir müssen doch die Verhältnismäßigkeit wahren!“
Dies gilt im übrigen auch bei Strukturveränderungen – ein Prozess, der nicht von heute auf morgen zu bewältigen ist, sondern seine Zeit braucht. Dem Generalinspekteur ist aus vollem Herzen zu gönnen, dass er in seiner aktiven Dienstzeit noch das eine oder andere erblühen sieht, was er gesät hat. Auch dies spricht für eine deutlichere Verlängerung seiner Amtszeit, selbst wenn die hier gewählte Metapher nicht ganz der Diktion des Generalinspekteurs entspricht. General de Maizière sprach Truppenkörpern eine kollektive Individualität zu, General Naumann sah die Bundeswehr als Patienten, dem man nicht mehr allzu viele Operationen zumuten könne. General Schneiderhan spricht gewöhnlich von seiner Werkstatt, in der er die Transformation der Bundeswehr vollziehe. Wenn man hier ein Bein absägt, dafür dort einen neuen Arm anklebt, ist es doch verständlich, dass man einmal sehen möchte, ob das Gebilde auch funktioniert.
Zu berücksichtigen ist ohnehin, dass die Aufgabe der Transformation nicht ganz einfach und noch lange nicht beendet ist; denn die bestehenden Strukturen entsprechen – völlig überraschend – nicht mehr den heutigen Anforderungen des sicherheitspolitischen Umfeldes. Als ehemaliger Stabsabteilungsleiter Bundeswehrplanung und später als Leiter des Planungsstabes des Ministeriums hatte General Schneiderhan offensichtlich nur geringe Möglichkeiten, die Entwicklung zu beeinflussen. Daher ist es verständlich, dass er nunmehr mit Augenmaß vorgehen will. Nicht mehr zeitgemäße Rüstungsvorhaben, die teilweise sogar vertraglich gebunden sind, kann man halt nicht von heute auf morgen zurückschrauben, um das eingesparte Geld dort einzusetzen, wo man es in den Einsätzen tatsächlich braucht. Der vorsichtige Ansatz des Generalinspekteurs in diesen Fragen verdient daher volle Unterstützung. Und über die Zeitachse betrachtet, verspricht er sogar Erfolg. So ist z.B. der „Einstieg in die Anfangsbefähigung des Heeres“ zur Bewältigung der neuen Aufgaben bereits für das Jahr 2015 vorgesehen. Da wird man dem Generalinspekteur, der schließlich auch die graue Uniform des Heeres trägt, doch nicht verwehren wollen, dies noch in seiner aktiven Dienstzeit zu erleben.
Nicht übersehen sollte man auch die persönlichen finanziellen Beiträge, die der Generalinspekteur für die Ausrüstung der Bundeswehr erbracht hat und noch erbringen will. „Verbesserungen der Ausrüstung zu fordern, ist einfach; ich aber muss sie bezahlen.“ Da wäre es doch ziemlich undankbar, den Generalinspekteur nunmehr völlig überraschend auf eine schmale Pension zu setzen.
Besonders hervorzuheben ist jedoch die hohe moralische Integrität des Generalinspekteurs. Er hat die eher seltene Gabe, vergeben und vergessen zu können. So hat er z.B. in seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zu den Vorfällen im Kosovo im März 2004 vergessen, was in seinem Sprechzettel zu den Meldungen an das Ministerium gestanden hatte.
Und loyal, wie er ist - besonders zu sich selbst -, hat er im Herbst 2005 vergessen, dem Minister zu berichten, dass er von
General Dieter, seinem damaligen Stellvertreter, über dessen Vorgehen im Fall Ruwe vorab informiert worden war, ohne dazu
irgendwelche Bedenken geäußert zu haben. Das ist gelebte Kameradschaft (siehe dazu auch Website GenLt a.D. Dieter
„Chronologie“
unter den Daten 20. und 21.10.2005 sowie
„Akteneinsicht“
).
Und kann es nicht manchmal eine Gnade sein, vergessen zu können - z.B. die Leichen, die man am Wegesrand zurücklässt?
Denn einige bedauernswerte Einzelschicksale dürfen schließlich nicht den Gang der Geschäfte hemmen, wenn man das Große
und Ganze im Blick haben muss.
Einen geeigneteren Mitarbeiter kann sich ein Minister doch gar nicht wünschen. Daher sollte dieser Generalinspekteur möglichst lange in seiner Verwendung verbleiben. Falls der eingangs gemachte Vorschlag, General Schneiderhan auf Lebenszeit mit dieser Aufgabe zu betrauen, bei den Vertretern unseres Volkes, die sich regelmäßig Wahlen stellen müssen, möglicherweise zu gewissen Bedenken führen sollte, so empfehle ich doch nachdrücklich, die Amtszeit aus den genannten Gründen zumindest bis zum Jahr 2015 zu verlängern. General Schneiderhan wäre dann nicht einmal 70, und Moltke, dessen Bild im Dienstzimmer des Generalinspekteurs hängt, ist schließlich erst im Alter von 88 verabschiedet worden.
Ich appelliere daher an den Bundesverteidigungsminister, seine Geburtstagsgeschenke nicht in der bisher erlebten Weise zu stückeln, sondern sich – wie es seine Art ist - bereits jetzt zu einem deutlichen und beherzten Schritt zu entschließen. Verlängern Sie die Amtszeit General Schneiderhans bis zum Sommer 2015, Herr Minister! Der bevorstehende 62. Geburtstag des Generalinspekteurs ist dazu ein angemessener Anlass.