„Wer führen will, muss die Menschen mögen“ (Admiral Dieter Wellershoff) – einige Gedanken zum erforderlichen „Klimawandel“ in der Bundeswehr
Zur Entlassung von Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Dr. Wichert
(27. November 2009)
Wenn mit Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, Staatssekretär Dr. Peter Wichert nunmehr diejenigen ihre Ämter verloren haben, die vor fast vier Jahren in intriganter Weise meine Entlassung betrieben haben, wird man mir nicht verübeln, wenn ich eine gewisse Genugtuung empfinde. Das ist jedoch nicht der Grund, weshalb ich diesen Vorgang kommentiere. Wenn er allerdings eine positive Wirkung für die Bundeswehr insgesamt entfalten soll, bedarf er der Aufarbeitung.
So unterschiedlich die beiden Herren in ihrem Charakter sein mögen, in einem Punkt sind sie sich ähnlich: Dem Postulat des in der Überschrift aufgeführten Zitats haben beide nicht entsprochen. Sie haben vielmehr entscheidend zu einem Klima der Unfreiheit in der Bundeswehr beigetragen. Darüber hinaus sind sie für viele Fehlentscheidungen der letzten Jahre verantwortlich, die bewirkt haben, dass die Schere zwischen Auftrag und Mitteln für die Truppe im Einsatz weit auseinanderklafft. Insofern ist ihr Abtritt ein Segen für die Bundeswehr.
Es gibt bei dem aktuellen Geschehen übrigens frappierende Parallelen zum Fall Dieter/Ruwe. Denn damals haben sich die
beiden Herren ganz ähnlich verhalten wie heute: Sie haben dem Minister entscheidende Informationen vorenthalten.
General Schneiderhan hatte seinerzeit nicht erwähnt, dass ihn General Dieter im Hinblick auf meine Unterrichtung vorab über
jeden seiner Schritte informiert hatte, ohne dass er (Schneiderhan) irgendetwas daran für nicht korrekt befunden hätte. Und
Staatssekretär Dr. Peter Wichert hatte dem Minister offenkundig weder vorgetragen, dass die Personalabteilung meinen Sohn zu keinem
Zeitpunkt als „rechtsextremistisch orientiert“ bewertet hatte noch dass sie ein Gespräch mit den beiden betroffenen Generalen
vor der Einleitung der Entlassung für unabdingbar hielt. Vielmehr hat Staatssekretär Wichert die unzutreffende Behauptung, die
Generale Dieter und Ruwe hätten gekungelt, um den rechtsradikalen Sohn des letzteren zu schützen, an die Vorsitzende des
Verteidigungsausschusses und den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages herangetragen. Ob der Anstoß dazu, die Angelegenheit
widerrechtlich auch an die Öffentlichkeit zu bringen, ebenfalls von Staatssekretär Dr. Peter Wichert
oder von General Schneiderhan kam, vermag ich nicht zu beurteilen. Vieles spricht für die letztere Annahme.
Auch der zurückgetretene Minister Jung hat sich erneut sehr ähnlich verhalten wie seinerzeit im Fall Dieter/Ruwe. Er hat nämlich
trotz offenkundiger Ungereimtheiten – und damals trotz meiner schriftlichen Bitte um ein persönliches Gespräch vor seiner
Entscheidung über die Entlassung - nicht nachgehakt, sondern sich von seinen Beratern übertölpeln lassen. Er hat es sich bieten
lassen, dass sein Staatssekretär ohne seine Genehmigung und bevor er sich eine eigene Meinung bilden konnte, widerrechtlich
parlamentarische Gremien informiert und damit seine Entscheidung präjudiziert hatte. Er hat es auch hingenommen, dass ihm
Staatssekretär Dr. Peter Wichert die Ministervorlage zur Entlassung der Generale Dieter und Ruwe vorenthalten hat. Als ihm das
Fehlverhalten des Staatssekretärs und des Generalinspekteurs bekannt wurde - spätestens durch meine Dienstaufsichtsbeschwerde
im Januar 2008 -, hat er mir durch ein
Schreiben seines Büroleiters
mitteilen lassen, er sehe keinerlei Veranlassung dagegen vorzugehen.
Es ist darüber hinaus nicht bekannt geworden, dass er jemals irgendjemanden, der ihm Informationen vorenthalten oder sogar
Fehlinformationen vorgelegt hatte, zur Rechenschaft gezogen hätte. Das BMVg hat er zu keinem Zeitpunkt seiner Amtszeit im Griff
gehabt und nicht einen Hauch von Führungsanspruch vermitteln können. Sein jetziger Rücktritt kam nicht nur nach meinem Empfinden
vier Jahre zu spät. Nicht allein wegen seiner Fehler im Fall Dieter/Ruwe, sondern weil die vier Jahre seiner Amtszeit Stillstand
und damit Verlust bedeutet haben. Keines der Probleme, die die Bundeswehr schwer belasten, hat er angepackt. Seinem Nachfolger hat
er nicht nur ein Kommunikationsdebakel im Hinblick auf den Luftangriff in Kundus, sondern einen allgemeinen Scherbenhaufen hinterlassen,
den zusammenzukehren, den neuen Minister noch viel Schweiß und Mühe kosten wird.
Ich hoffe, dass es dem neuen Minister zu Guttenberg gelingt, verkrustete Strukturen aufzubrechen, die bestehenden Probleme anzupacken und darüber hinaus einen „Klimawandel“ zum Positiven in der Bundeswehr anzustoßen, der das „Dienen in Freiheit“ (Theodor Fontane und Wahlspruch der Offizierschule des Heeres) wieder zur Maxime erhebt. Dass er trotz seiner kurzen Zeit im Amt grundlegende Änderungen für erforderlich hält, ist seinem Statement im Deutschen Bundestag zu entnehmen. Aber auch die schnelle Entscheidung zur Entlassung General Schneiderhans und Staatsekretärs Wicherts ist ein Indiz dafür; denn man kann davon ausgehen, dass er sie nicht allein aufgrund des aktuellen Fehlverhaltens der beiden Herren getroffen hat, sondern unter Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit der Betroffenen. Offensichtlich hatte er nicht vor - auch nicht für wenige Monate –, sich in seinen Entscheidungen von den Ratschlägen dieser Herren abhängig zu machen. Desungeachtet wird er ihnen – anders als seinerzeit Minister Jung General Dieter und mir – mit einem Großen Zapfenstreich einen anständigen und würdigen Abschied geben.
Währenddessen arbeitet zumindest General Schneiderhan bereits intensiv an der Legendenbildung: Die Porträts, die von den
Nachrichtenagenturen ddp und dpa verbreitet werden und sich heute in vielen Zeitungen wiederfinden, beschreiben ihn als loyal
und warmherzig. Er habe sich immer wieder hinter (sic!) die Soldaten im Einsatz und die wechselnden Verteidigungsminister gestellt,
und selbst seine Kritiker hielten ihm Geradlinigkeit zugute. Offensichtlich sind diese Darstellungen in ihren wesentlichen
Aussagen von der Adjutantur des ehemaligen Generalinspekteurs oder von seinem Pressesprecher verfasst worden. Wer sonst könnte
solch abwegige Behauptungen aufstellen?
Wie warmherzig und kameradschaftlich General Schneiderhan tatsächlich ist, lässt sich unschwer aus seinem Verhalten gegenüber seinem
damaligen Stellvertreter, Generalleutnant Hans-Heinrich Dieter, ableiten (s. bei ihm unter
Akteneinsicht
,
letzte Absätze). Und selbst seine Anhänger würden angesichts seiner unnachahmlichen Taktiererei während seiner gesamten Amtszeit
„Geradlinigkeit“ nicht für ein hervorstechendes Charaktermerkmal halten. Hinter die Soldaten im Einsatz in dem intendierten Wortsinn
hat er sich kaum jemals gestellt. Vielmehr hat er entscheidend dazu beigetragen, dass die Truppe in Afghanistan für ihren zunehmend
schwierigeren Auftrag nicht die angemessenen Mittel bekam (s. auch
Bundeswehrschelte – oder wie man ein Eigentor schießt
)
und ihre Aufgaben unter unangemessenen Rahmenbedingungen erfüllen musste.
Die Truppe hat seit langem sehr wohl erkannt, dass sie in diesem Generalinspekteur keinen Fürsprecher hatte. Umso unerfindlicher
ist mir, wie der Wehrbeauftragte Robbe gestern Abend in den Tagesthemen behaupten konnte, die Truppe sei erschüttert über die
Entscheidung des Bundesverteidigungsministers, diesen hochanerkannten und beliebten Generalinspekteur in den Ruhestand zu schicken.
Ich weiß nicht, bei wem Herr Robbe diese Meinung eingeholt hat. Nach meinen Erkenntnissen ist die Truppe – soweit man überhaupt
generalisierend davon sprechen kann – über die Entscheidung erleichtert und hofft darauf, dass manches in der Zukunft besser wird.
Auch General Schneiderhans angeblich großartige Unterstützung seiner drei Minister muss man differenziert betrachten. Minister
Scharping, der ihn ins Amt gebracht hatte, und dessen Nachfolger Peter Struck hat er ohne Zweifel nach besten Kräften unterstützt,
dabei aber häufig seine ureigene Aufgabe als Generalinspekteur, der vor allem die militärischen Belange zu vertreten hat,
vernachlässigt.
Minister Jung dagegen hatte keineswegs die volle Unterstützung seines angeblich bis auf die Knochen loyalen Generalinspekteurs.
Vielmehr hat der ihn häufig allein im Regen stehen lassen. Dass Minister Jung dennoch die Amtszeit Schneiderhans gegen den
ausdrücklichen Rat der Verteidigungspolitiker seiner Fraktion zweimal über die besondere gesetzliche Altersgrenze hinaus verlängert
hat, zeugt von der signifikanten Führungsschwäche dieses Ministers (mehr zu diesem Thema unter
Generalinspekteur lebenslänglich
).
Ohnehin verdient das Thema „Loyalität“ eine gesonderte Betrachtung; denn die Schneiderhan‘sche Interpretation dieses Begriffs hat
sich äußerst negativ auf das Klima innerhalb der militärischen Führung und in der Truppe ausgewirkt. Das Einfordern unbedingter
Loyalität (s.
Befehl und Gehorsam – oder wie man die militärische Führung mundtot macht
)
hat die freie Meinungsäußerung in der Bundeswehr geradezu erstickt. Da hat auch die Aufforderung des Herrn Bundespräsidenten an
die militärische Führung „Klartext zu reden, nach oben und nach außen“ nicht mehr viel bewirken können.
Zwei Beispiele dafür: In einer sicherheitspolitischen Tagung erklärte ein hoher Truppenführer auf die Frage, wann man auch
öffentlich kundtun müsse, dass Auftrag und Mittel der Truppe nicht mehr zusammenpassten, in einem laufenden Einsatz dürfe sich
nur ein einziger Soldat öffentlich äußern und das sei der Herr Generalinspekteur.
Einen General aus dem Führungsstab der Streitkräfte, den ich gebeten hatte, dem Generalinspekteur doch einmal die tatsächliche
Situation in der Truppe vorzutragen, erklärte mir in erstaunlicher Offenheit, wie er seine Rolle verstehe: Wenn der Generalinspekteur
feststelle, die Büsche seien gelb, während sie tatsächlich in hellem Grün erstrahlten, dann diskutiere er nicht lange herum, sondern
schicke seine Kolonnen los und lasse sie Gelb streichen.
Das möchte ich nicht weiter kommentieren. Wenn sich jedoch jemand, der eine solche Einstellung fördert, als Schüler Stauffenbergs
bezeichnet, habe ich damit schon meine Probleme. Erziehung zu Zivilcourage, wie sie u.a. vom ehemaligen Generalinspekteur Klaus
Naumann oder vom Widerstandskämpfer Philipp Freiherr von Boeselager angemahnt wurde, sieht jedenfalls anders aus.
General Schneiderhan musste einen solchen Kurs der Repression verfolgen, weil er es nicht verstanden hat, die militärische Führung auf seinem Weg der Transformation der Bundeswehr mitzunehmen, wie man heute sagt. Zum einen lag das daran, dass viele Ideen der militärischen Erfahrung zuwiderliefen und häufig gar der Logik entbehrten, zum anderen war es ihm zuwider, die notwendige Überzeugungsarbeit in den zuständigen Gremien, z.B. im Militärischen Führungsrat, leisten zu müssen. Größere Diskussionsrunden mit Generalen konnte er nicht ausstehen und ließ sie zeitweise gänzlich einschlafen. Die traditionelle jährliche bis anderthalbjährliche Kommandeurtagung der Bundeswehr, die ihm wegen des immanenten Konfliktpotenzials ein Gräuel war, führte er nur zweimal durch: In einer gab es keinerlei Möglichkeit zur Diskussion, bei der anderen verpflichtete er die Inspekteure zu Vortrag und Diskussion, während er selbst die versammelten Kommandeure zur „unabdingbaren unbedingten Loyalität“ anhielt.
Zur Beratung bevorzugte General Schneiderhan ein Küchenkabinett getreuer Gefolgsleute, die (nachdem sie die Büsche im richtigen Farbton angestrichen hatten) auf die angemessene Belohnung bauen konnten. Aus diesem Kreis kam die selbstironische Beschreibung dieser Gruppe als „famiglia“, womit nicht die Familie gemeint war. Von einem Generalinspekteur erwartet man gemeinhin ein anderes Führungsverhalten.
Der Generalinspekteur hat ohne Zweifel ein schwieriges Amt. Er steht an der Nahtstelle zur Politik, ist aber nicht Politiker, sondern der erste Soldat der Bundeswehr. Dieses Rollenverständnis ging General Schneiderhan ab. Er handelte vorwiegend wie ein Politiker und nicht wie ein Soldat. Dafür hatte er, der schon in jungen Jahren parteipolitisch aktiv war, durchaus eine gute Begabung. Er ist klug und bemüht sich sehr geschickt und erfolgreich darum, nicht anzuecken. Daher bezieht er selten klar Position, so dass er schwer angreifbar ist. Er kann sich gut verkaufen, charmant mit Leuten umgehen, von denen er etwas will, und es gelingt ihm scheinbar mühelos, Journalisten um den Finger zu wickeln. Seine äußerst positive Außendarstellung kontrastiert jedoch deutlich mit dem Bild, das er nach innen abgibt. Soldaten erwarten von ihrem höchsten militärischen Führer andere Eigenschaften: Dass er klar Position bezieht, die Realität ungeschminkt darstellt, der politischen Führung vermittelt, was geht und was nicht geht, Freiräume im Rahmen der Auftragstaktik gewährt und sich vor – nicht hinter – die Truppe stellt. Das haben sie bei General Schneiderhan vermisst.
Staatssekretär Dr. Peter Wichert - in vielerlei Hinsicht zwar ein gänzlich anderer Typus – weist in manchen Aspekten seines
Führungsverhaltens durchaus Ähnlichkeiten zu General Schneiderhan auf - nicht zum Wohl der Bundeswehr. Hinter seinem äußerlich
bescheidenen Auftreten verbirgt sich ein ausgeprägtes Streben nach Macht und Kontrolle. Er war die graue Eminenz in der Spitze des
BMVg und glaubte, häufig besser als der Minister zu wissen, was für das Ressort zweckmäßig sei oder nicht. Sein Wissen war
Herrschaftswissen. Das Prinzip der Auftragstaktik hatte er – obwohl zum Reserveoffizier ausgebildet - offenbar nicht verinnerlicht.
Am langen Zügel zu führen, Freiräume zu gewähren, lag ihm ganz und gar nicht. Leute mit eigener Meinung waren ihm suspekt. Generale
hielt er – ebenso wie seine zivilen Abteilungsleiter – für Angestellte der Bundesregierung, die deren Auffassung (im Zweifel in der
Wichert‘schen Interpretation) zu vertreten hatten. Dass es für militärische Führer aufgrund ihrer Verantwortung für die unterstellte
Truppe gelegentlich erforderlich sein könnte, auch abweichende Auffassungen vorzutragen, kam ihm nicht in den Sinn. Wer sich nicht
anpassen wollte, wurde geschasst. Während seiner jahrzehntelangen Amtszeit hat sich geistige Unfreiheit in der Bundeswehr breit gemacht.
Dabei ist unbestritten, dass er ein vorzüglicher Fachmann in allen Fragen des Ressorts und im übrigen einer der wenigen war, die rechnen
können. Seine stärkste Phase hatte er deshalb, als Minister Scharping jeden Bezug zur finanziellen Realität verloren hatte und er – bis zu
seiner ersten Zurruhesetzung im Jahr 2000 – fast als einziger im Hause finanzpolitische Vernunft repräsentierte. Nach seiner
Wiedereinstellung hat er jedoch nie zu früherer Form zurückgefunden und weitgehend glücklos agiert. Er wollte sich gleich zu Beginn dem
neuen Minister als unfehlbarer Macher und Krisenmanager präsentieren und produzierte ihm stattdessen einen Skandal. Sein Verhältnis zum
Recht war zwar immer gespalten; aber die Skrupellosigkeit, mit der er sich im Fall Dieter/Ruwe über die Grundsätze der Inneren Führung
und des Rechts hinweggesetzt hatte, hing ihm nach. Auch in anderen Fällen ging ihm manches daneben: Die Bundeskanzlerin war über seine
unzutreffende Darstellung beim Einsatz der Marine vor dem Libanon zu Recht verärgert, und auch beim G8-Gipfel hatte er die Dinge offenkundig
nicht im Griff.
Aus den genannten Gründen empfinden viele im Ministerium und in der Bundeswehr den Abgang General Schneiderhans und Dr. Wicherts als eine Befreiung. Damit sich die durch den Ministerwechsel begonnene „Klimaverbesserung“ auch weiter nach unten in der Hierarchie ausbreiten kann, ist ihm und der Bundeswehr zu wünschen, dass er Persönlichkeiten für die Nachfolge findet, die dem Postulat Admiral Wellershoffs „Wer führen will, muss die Menschen mögen“ gerecht werden.