Bundeswehrschelte - oder wie man ein Eigentor schießt
(Juni 2009)
Wenn man es nicht schwarz auf weiß in vielen Zeitungen läse, würde man es nicht glauben: Der Generalinspekteur schilt Truppe und Führung. Mangelhaftes Verantwortungsbewusstsein von Soldaten für den Staat beklagt er und Kommunikationsprobleme bis in die Führungsebenen hinauf. Viele Soldaten jammerten auf hohem Niveau und erwarteten für ihren Dienst an dem Land ein "Rundum-Wohlfühlangebot mit Erfolgserlebnis“. Er frage sich, ob immer die richtigen Leute in der Bundeswehr Spieß und Chef seien. Die Bundeswehr müsse Kommunikation als Schlüsselkompetenz erkennen. Es gebe so viele Zuständigkeiten, dass sich keiner mehr zuständig fühle.
Mit Verlaub, von welcher Organisation redet der Generalinspekteur eigentlich? Wer steht denn seit sieben Jahren an der Spitze der Bundeswehr - länger als jeder andere vor ihm? Wer hat sich eine Machtfülle angeeignet, wie sie keiner seiner Vorgänger hatte?
Wer hat im Rahmen der vielbeschworenen Transformation (um dieses Unwort zu verwenden) eine Bundeswehrstruktur geschaffen, die den neuen Herausforderungen allenfalls ansatzweise gerecht wird? Wer hat im Zuge der neuen Streitkräftekategorisierung bei den Stabilisierungskräften Truppenteile eingeplant, die nicht im Entferntesten für eine solche Aufgabe geeignet sind?
Wer ist, obwohl ich ihm dringend davon abgeraten hatte, von dem bewährten „Faktor 5“ in der Strukturplanung für Stabilisierungskräfte abgegangen, der für die Truppe eine ausreichende Zeit zur Regeneration und Ausbildung zwischen zwei Einsätzen erlaubt hätte – mit der Folge, dass viele Soldaten des Heeres, der Streitkräftebasis und des Sanitätsdienstes durch die laufenden Einsätze schwer belastet sind (s. Beitrag „Warum das Heer auf dem Zahnfleisch geht – ein kardinaler Fehler in der Struktur der Bundeswehr“ ) ?
Wer hat der Truppe vorgegaukelt, das „Kontingentdenken“ sei überholt, denn er werde in der NATO eine neue Einsatzsystematik durchsetzen, mit der sich die Belastung in Grenzen halte?
Wer hat versäumt, die materielle Ausstattung der Bundeswehr auf die neuen Einsätze abzustellen? Wer liefert wider besseres Wissen nach wie vor die konzeptionelle Begründung für die Beschaffung von z.B. 180 Eurofightern und verhindert dadurch angesichts der engen Finanzausstattung des Verteidigungshaushalts eine bessere Ausstattung unserer Bodenkräfte im Einsatz?
Wer hat gut funktionierende Führungsstrukturen zerschlagen und unter dem wohlfeilen Postulat der Streitkräftegemeinsamkeit neue zusätzliche Kommandobehörden und Ämter eingerichtet, die in der Tat so viele Zuständigkeiten kreieren, dass sich „keiner mehr so richtig zuständig fühlt“?
Wer hat – gegen meinen Rat – die Zentralisierung der Streitkräfte soweit vorangetrieben, dass ein Kommandeur in der Einsatzvorbereitung mehr damit beschäftigt ist, alle benötigten Kräfte und Mittel unter hohem bürokratischen Aufwand überhaupt erst einmal zusammenzuführen, als sich um die Ausbildung dieser zusammengewürfelten Truppe kümmern zu können?
Wer hat versäumt, für die Einsätze eine angemessene Gesamtstrategie einzufordern, in deren Rahmen es für den militärischen Einsatz zwar keine Erfolgsgarantie, zumindest aber eine gewisse Chance gäbe, das angestrebte Ziel auch zu erreichen und die dafür erbrachten Opfer zu rechtfertigen?
Wer hat es unterlassen, Politik und Öffentlichkeit klarzumachen, dass der Afghanistaneinsatz kein Spaziergang ist, sondern mit Verlusten an Menschenleben verbunden sein würde? Wer hat sich jahrelang dagegen ausgesprochen, schwere Waffen in Afghanistan einzusetzen, weil dies das Bild eines doch ganz friedlichen Stabilisierungseinsatzes trüben könnte?
Wer hat entgegen meinem dringenden Rat mehrfach den von wenig Sachkenntnis zeugenden Ansatz verfolgt, gefährliche Boden-Einsätze durch Luftwaffen- oder Marinesoldaten führen zu lassen – frei nach dem Motto: Das bisschen Einsatz kann doch jeder?
Und was Führungsprinzipien insgesamt anbetrifft:
Wer fordert Loyalität in einer Weise ein, die trotz der Aufforderung des Bundespräsidenten an die militärische Führung, Klartext zu reden, jegliche
Kritik unterbinden soll (s. mein Beitrag
„Befehl und Gehorsam – oder wie man
die militärische Führung mundtot macht“ ) ?
Wer hat, wenn ihm trotzdem widersprochen wurde, die Kommunikation sofort eingestellt und dafür gesorgt, dass die Kritiker seines Kurses zum Schweigen
gebracht wurden?
Man könnte die Liste der Fragen noch fortsetzen; die Antwort wäre immer dieselbe.
Dass derjenige, der für all diese Mängel die Verantwortung trägt, nunmehr Führung und Truppe an den Pranger stellt, ist schwer zu ertragen. Ich gehe davon aus, dass sich die Inspekteure dagegen verwahren und sich vor ihre Soldaten stellen werden.
Die Truppe leistet unter den schwierigen Bedingungen, die ihr der Generalinspekteur eingebrockt hat, Großartiges. Dass unsere Soldaten ein "Rundum-Wohlfühlangebot“ erwarteten, kann ich nicht bestätigen. Sie beweisen vielmehr ein erstaunliches Maß an Engagement und Improvisationsvermögen. Dies ist Tag für Tag im Einsatz zu erleben, aber auch an der „Heimatfront“, an der nahezu kein Truppenteil von ständigen einsatzbedingten Abstellungen verschont ist. Kritik an den vielen Unzulänglichkeiten sollte erwünscht sein und nicht als Mangel an Verantwortungsbewusstsein für den Staat diskreditiert werden; und wenn sich gelegentlich einmal ein Soldat über Dinge beklagt, die der hohen militärischen Führung im fernen - politisch dominierten - Berlin weniger relevant erscheinen mögen, dann sollte man dies nicht als Majestätsbeleidigung empfinden, sondern mit Gelassenheit aufnehmen und den Mangel abstellen (s. auch hhkfdieter im F.A.Z. Blog „Zuviele Kümmerer“).
Es wird immer deutlicher: Die Bundeswehrwelt ist eine andere, als sie der Generalinspekteur gern hätte. Es ist ihm offensichtlich in sieben Jahren nicht gelungen, seine Vorstellungen der Truppe nahe zu bringen. Das ist sein ureigenes Kommunikationsproblem.
Man könnte natürlich die Bundeswehr auswechseln. Vielleicht gibt es aber auch andere Möglichkeiten.