Befehl und Gehorsam – oder wie man die militärische Führung mundtot macht
(April 2008)
In den Medien wird in diesen Tagen darüber spekuliert, ob sich der Bundespräsident für eine zweite Amtsperiode zur Verfügung stellt. Ich hoffe sehr, dass er dies tut; denn Bundespräsident Köhler hat sich als ein Glücksfall für den politischen Diskurs erwiesen. Er scheut sich nicht, in wesentlichen Fragen klar Position zu beziehen und – wenn nötig – den Finger in die Wunde zu legen. Der Bundespräsident erwartet auch von anderen, dass sie sich deutlich artikulieren. So hat er z.B. die militärische Führung zu „Klartext nach oben und außen“ aufgefordert (Ansprache zum 50-jährigen Bestehen der Führungsakademie der Bundeswehr).
Dem Generalinspekteur ist das ein Dorn im Auge. Er hält dieses Diktum des Bundespräsidenten für interpretationsbedürftig. Für den militärischen Bereich jedenfalls gelte, dass man eigene Auffassungen in einen laufenden Entscheidungsprozess zwar einbringen könne. Nach getroffener Entscheidung jedoch sei diese aufgrund des Prinzips von Befehl und Gehorsam sowie der Verpflichtung zur Loyalität nicht in Frage zu stellen, sondern loyal nach innen und außen zu vertreten. So hatte sich General Schneiderhan bei der 41. Kommandeurtagung der Bundeswehr und bei der 19. Informationstagung für ehemalige Generale eingelassen. Auf den ersten Blick erscheint manchem eine solche Auffassung nicht unplausibel. Bei näherer Betrachtung erweist sie sich jedoch als außerordentlich problematisch. Sie ist weder mit unserem Menschenbild noch mit den Prinzipien der Inneren Führung vereinbar.
Richtig ist: Das Prinzip von Befehl und Gehorsam ist für Streitkräfte unverzichtbar. Im Einsatz müssen Operationen mit einem einheitlichen Ziel und in aufeinander abgestimmten Abläufen geführt werden. Alles andere würde zu Chaos und letztlich zum Verlust von Menschenleben führen. Wenn der verantwortliche Führer – hoffentlich nach angemessener Beratung – seinen Entschluss getroffen und bekanntgegeben hat, müssen eigene Überzeugungen zurückgestellt und alle Anstrengungen loyal auf das Gelingen dieses Ansatzes gerichtet werden. Wer ständig Bedenken vor sich herträgt, kann seine Truppe nicht motivieren. Allerdings gilt dieses Prinzip selbst im Einsatz nicht uneingeschränkt. Zum einen werden in der Taktikausbildung immer wieder Fälle gespielt, in denen eine gravierende Änderung der Lage geradezu fordert, vom Auftrag abzuweichen. Zum anderen ist in unserem Rechtssystem festgelegt, in welchen Fällen Befehle nicht befolgt werden müssen und wann sie sogar nicht befolgt werden dürfen. Daher kann sich niemand, der schwere Rechtsverstöße begeht, darauf berufen, er habe ja nur auf Befehl gehandelt. Dieser Aspekt ist auch in der jüngsten Diskussion um den Abschuss eines von Terroristen gekaperten Flugzeugs thematisiert worden (s. auch Hans-Heinrich Dieter, Luftsicherheit und „Der erste militärische Berater“ ).
Das Gehorsamsprinzip ist nicht auf den Einsatz beschränkt, sondern gilt für Soldaten generell. Die Pflicht zum Gehorsam wie auch ihre Grenzen sind im Soldatengesetz relativ klar geregelt. Um den Gehorsam geht es dem Generalinspekteur mit seinen Ausführungen an die militärische Führung jedoch gar nicht. Mir sind jedenfalls keine Fälle bekannt, in denen Generale oder Admirale den Gehorsam verweigert hätten. Generalinspekteur Schneiderhan will etwas Anderes: Mit seiner Forderung an die militärische Führung, Entscheidungen nicht nur befehlsgemäß umzusetzen, sondern sich darüber hinaus zu eigen zu machen und ohne Widerspruch zu vertreten, will er Kritiker seines Kurses mundtot machen.
Natürlich kann ein Vorgesetzter, der verantwortlich eine Entscheidung getroffen hat, erwarten, dass sie nicht anschließend gleich wieder zerredet wird. Im Regelfall ist ihm von seinen Untergebenen bei der Umsetzung dieser Entscheidung Loyalität geschuldet. Solange Führungsentscheidungen der Sache dienen und eine Pflichtenkollision nicht zu erkennen ist, sollte es nicht allzu schwer fallen, abweichende eigene Auffassungen zurückzustellen und Entscheidungen loyal mitzutragen. Schwierig wird es jedoch bei Entscheidungen, die zwar der politischen Leitung oder dem Generalinspekteur genehm sein mögen, aber nach eigener Überzeugung nicht der Sache dienen und ggf. mit schweren Nachteilen für die Truppe oder sogar für unser Land verbunden sind. Auch dann gilt zwar der Primat der Politik und – mit den bereits genannten Einschränkungen – auch die Pflicht zum Gehorsam. Wer in einem solchen Fall jedoch seine eigenen Auffassungen verleugnet, beweist Mangel an Zivilcourage und handelt letztlich illoyal. Denn das übergeordnete Ziel für den Soldaten als Staatsdiener ist nicht, dem Minister oder dem Generalinspekteur zu Diensten zu sein. Wir sind in der Bundeswehr nicht dem Führerprinzip unterworfen. Als Soldat dient man der Bundesrepublik Deutschland und als Vorgesetzter hat man nicht nur Verpflichtungen nach oben, sondern stets auch nach unten.
Bei Diplomaten oder Soldaten in diplomatischer Funktion mag das etwas anders aussehen. Sie haben die offiziell gebilligte Auffassung der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten, sind aber auch keine militärischen Führer mit Verantwortung für Truppe, sondern Sprachrohr der Bundesregierung. Eine vergleichbare Verpflichtung auf die gesamte militärische Führung anzuwenden, wie das der Generalinspekteur offenkundig will, hielte ich für grundlegend falsch. Seine nachdrückliche Forderung, seine Entscheidungen loyal mitzutragen und zu vertreten, würde jeglicher Kritik die Legitimität entziehen. Denn bei Lichte besehen, ist nahezu alles in der Bundeswehr geregelt – selbstverständlich durch vorausgegangene Entscheidungen. Wodurch denn sonst? Eine solche Forderung ist nichts Anderes als geistige Gleichschaltung!
Wenn ein Generalinspekteur keine Kritik vertragen kann, wenn er auf das Prinzip
von Befehl und Gehorsam rekurrieren muss, stellt er sich selbst ein
Armutszeugnis aus. Führungspersönlichkeiten überzeugen durch die
Klarheit ihrer Gedankenführung; sie beteiligen ihre Mitarbeiter an
wichtigen Entscheidungen und „nehmen sie mit“, wie es neudeutsch heißt.
General Schneiderhans Führungsverhalten dagegen ist durch politisches
Taktieren geprägt. Eine klare Linie ist nicht zu erkennen. Die
Konzeption der Bundeswehr entbehrt der Logik (s. mein Beitrag
„Warum das
Heer auf dem Zahnfleisch geht“
unter Kommentare). Dieser grundlegende Strukturfehler gebiert ständig neue
Ungereimtheiten, die ebenfalls nur schwer zu begründen sind. Und auch mit der
Beteiligung der militärischen Führung an den Zukunftsentscheidungen der Bundeswehr
ist es nicht weit her. Zu Beginn der Strukturdiskussion hatte der Generalinspekteur
angekündigt, den Fortgang der Überlegungen in kurzen Zeitabständen mit
der höheren militärischen Führung zu besprechen (sog. KG-Besprechungen).
Nachdem er jedoch bereits in der ersten dieser Besprechungen Gegenwind
bekam, ließ er sie gänzlich einschlafen.
Kommandeurtagungen der Bundeswehr, die zwar auch auf Außenwirkung angelegt sind, in denen jedoch im internen Teil stets auch kräftig diskutiert wurde, fanden früher in einem Rhythmus von ca. anderthalb Jahren statt. Generalinspekteur Schneiderhan sind sie ein Gräuel. Die Tagung zum 50-jährigen Bestehen der Bundeswehr im Jahr 2005 war unvermeidlich, aber auch unproblematisch für ihn, weil wegen des Festaktcharakters kein Diskussionsforum vorgesehen war. Nach zweieinhalb Jahren folgte nun vor wenigen Wochen in Berlin eine weitere. Damit Kritik an der Transformation der Bundeswehr gar nicht erst aufkommen konnte, wurden im internen Teil der Veranstaltung die Inspekteure zum Vortrag eingeteilt. Der Inspekteur des Heeres – so berichteten Teilnehmer – sei der einzige gewesen, der auch auf Problemfelder hingewiesen habe.
Die Gleichschaltung schreitet voran. General Schneiderhan hat sich eine Machtposition aufgebaut, wie sie kein Generalinspekteur vor ihm hatte. Sein Ansehen bei denen, die die aufgezeigten Zusammenhänge nicht überblicken, ist hoch. Er kann geschickt argumentieren und ist ein guter Redner. Zudem hat die Entlassung der Generale Dieter und Ruwe den gewünschten Abschreckungseffekt auf kritische Geister in der Generalität nicht verfehlt. In der Armee hat sich herumgesprochen: Wer nicht spurt, fliegt. Was treibt General Schneiderhan also, jetzt dieses Thema aufzubringen und sich damit sogar in einen Gegensatz zum Bundespräsidenten zu setzen? Es gibt dafür nur eine Erklärung: Er muss sich in hohem Maß unsicher fühlen. Es fällt ihm zunehmend schwerer, die offenkundigen Mängel in der Transformation nach innen und außen zu verdecken. Immer häufiger wird selbst von Außenstehenden z.B. die Frage aufgeworfen, warum wir unsere Bodentruppen in den Einsätzen nicht besser schützen und stattdessen Geld für teure Rüstungsprojekte ausgeben, die niemand mehr braucht. Wenn die eigenen Argumente ganz offensichtlich unlogisch sind, fällt es selbst einem begabten Redner wie General Schneiderhan schwer, sie zu verkaufen. Hinzu kommt, dass er durch sein unsägliches Verhalten in der Affäre Dieter/Ruwe sein Ansehen nachhaltig beschädigt hat.
Es fällt auch auf, dass General Schneiderhan nicht mehr locker erscheint. Die früher so sympathisch wirkende Selbstironie ist kaum noch zu vernehmen. Stattdessen hört man immer häufiger das Wort „ich“, wenn er von der Bundeswehr spricht, als sei es seine Privatarmee. „Verbesserungen der Ausrüstung zu fordern, ist einfach; ich aber muss sie bezahlen.“ Mir war gar nicht bekannt, dass der Generalinspekteur die Ausrüstung der Bundeswehr bezahlen muss – womöglich noch zu Lasten seiner privaten Haushaltskasse. Ich dachte, die Steuerzahler, also wir alle, müssten für die Kosten der Rüstung aufkommen. Auch die Truppe muss manchmal, wenngleich in anderem Wortsinn, dafür bezahlen, wenn die Ausrüstung nicht so ist, wie sie sein könnte: wenn es schlimm kommt, mit Menschenleben. Dennoch darf man sich als General offenkundig nicht zu Ausrüstungsmängeln äußern; denn über die Ausrüstung ist ja entschieden worden; und getroffene Entscheidungen sind loyal zu vertreten.
Als ich neulich einen hohen General auf die zitierte Äußerung des Bundespräsidenten („Klartext“) ansprach, sagte er mir entsetzt: „Das ist ja Aufforderung zum Selbstmord.“ Das mag etwas dramatisch klingen, ist aber aus meiner Sicht ein nur allzu berechtigter Ausdruck der Sorge, die man um die Führungskultur in der Bundeswehr haben muss. Wenn sich Kritiklosigkeit und Anpassertum weiter ausbreiten, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die militärische Führung an Autorität und Ansehen verliert. Wir beklagen häufig, dass die Generalität der Wehrmacht – von den bekannten wenigen Ausnahmen abgesehen - dem Machtstreben, den Verbrechen und unsinnigen militärischen Führungsentscheidungen Hitlers nicht genügend entgegengetreten ist. Erziehen wir unsere hohen Offiziere so, dass sie in vergleichbarer Lage couragierter gehandelt hätten?
Die Antwort ist ein klares Nein. General a.D. Naumann hat als
Generalinspekteur das Führungspersonal der Bundeswehr aufgefordert,
Zivilcourage zu zeigen. Ich selbst habe als Vorgesetzter meine
Mitarbeiter nachdrücklich zum Widerspruch aufgefordert, wenn sie meine
Auffassungen nicht teilten. Offenbar bedarf es solcher Aufforderungen,
denn Widerspruchsgeist und Zivilcourage sind in den Streitkräften - wie in
unserer gesamten Gesellschaft - nicht gerade üppig entwickelt. Sie
bedürfen intensiver Pflege. So sah es wohl auch der Bundespräsident. Der
Generalinspekteur dagegen zieht sich auf das Prinzip von Befehl und
Gehorsam und die Pflicht zu uneingeschränkter Loyalität zurück. Damit
liegt er auf der „bewährten“ Linie, wie sie unter Staatssekretär Dr.
Wichert bereits seit mehr als einem Jahrzehnt in unserem Haus
praktiziert wird. Das Klima der geistigen Unfreiheit hat die
Führungskultur in der Bundeswehr inzwischen so nachhaltig geprägt, dass
es die beiden genannten Herren ohne Zweifel überdauern wird. Man kann
sich nur wundern, dass dies den meisten Beobachtern von außen zu
entgehen scheint. Der Wehrbeauftragte jedenfalls hält das Thema der
übergewichtigen Soldaten für wichtiger.
Aus dramaturgischen Gründen möchte man am Schluss eines Beitrags eigentlich
einen positiven und versöhnlichen Abschluss finden. Wenn ihn mir jemand
überzeugend liefert, will ich ihn gern aufnehmen. Mir selbst ist keiner eingefallen.