Verfassungsbeschwerde - Auszüge
Gegen den Beschluss des 2. Wehrdienstsenats des
Bundesverwaltungsgerichts vom 4. April 2007 ... sowie gegen die in dem
diesem Beschluss zugrunde liegenden Verfahren angefochtene
Disziplinarverfügung des Herrn Bundesministers der Verteidigung vom 11.
Mai 2006 ... lege ich hiermit fristgemäß namens und im Auftrag des
Beschwerdeführers (Bf) Verfassungsbeschwerde ein. Sie richtet sich gegen
die Feststellung, der Bf habe ein Dienstvergehen begangen. Damit ist dem
Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung unterlaufen, die auf einem
grundlegend fehlerhaften Verständnis des Wesensgehalts von Grundrechten
und grundrechtsgleichen Rechten beruht (BVerfGE 18, 85 ff.).
...
Zur Zulässigkeit:
Die aus dem festgestellten Sachverhalt gezogene Schlussfolgerung des
Wehrdienstsenats, der Bf habe ein Dienstvergehen begangen, indem er
seine dienstliche Verschwiegenheitspflicht (§ 14 SG) verletzt habe, ist
so nicht nachvollziehbar. Dieser Vorwurf lässt sich nach der gebotenen
materiellen Prüfung und Bewertung des geschilderten Geschehensablaufs
nicht begründen (dazu unten mehr). Der Bf ist durch die angegriffenen
Hoheitsakte, nämlich den Gerichtsbeschluss und die Disziplinarverfügung
in seinen grundrechtsgleichen Rechten aus Art. 33 Abs. 5 GG und in
seinem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Das über sein
Verhalten ausgesprochene Unwerturteil ist von erheblichem Gewicht und
trifft ihn hart. Es entstünde ihm ein besonders schwerer Nachteil (§ 93a
Abs. 2 lit. b BVerfGG), wenn ihm eine Entscheidung zur Sache versagt
würde.
Das ergibt sich aus folgendem:
1. Der Vorwurf, ein Dienstvergehen begangen zu haben, war einziger
Auslöser für die Versetzung des Bf in den einstweiligen Ruhestand aus
dem Amt eines Generalleutnants.
...
3. Die Formulierung „unabhängig vom Wahrheitsgehalt“ zeigt, dass mit der
- so wie vom Vermerksverfasser vorgeschlagen - durchgeführten
„Entlassung“ dem Bf in zynischer, grob rechtsstaatswidriger Weise
vorsätzlich Unrecht getan wurde: Die Leitung des BMVg handelte nämlich
in bedingtem Vorsatz, wenn sie in Kauf nahm, dem Bf sachlich Unrecht zu
tun. Es muss dem Bf in dieser Fallkonstellation ein berechtigtes und
verfahrensrechtlich durchsetzbares Anliegen sein, die Haltlosigkeit der
gegen ihn als Soldat erhobenen Vorwürfe auszuräumen. Von einem
unbewiesenen und offenbar bewusst aufs Geratewohl erhobenen Vorwurf
seines Vorgesetzten, des Herrn Bundesministers der Verteidigung (der auf
seine ministeriellen Berater angewiesen war), befreit zu werden, ist ein
besonders schutzwürdiges Anliegen.
Der zuständige Referatsleiter, ..., handelte auch insofern vorsätzlich, als ihm die Vernehmungsniederschrift des Sohnes des Bf vom 15. November 2005 bekannt war. Danach hätten die Vorwürfe gegen diesen so nicht aufrechterhalten werden können, zumindest relativiert werden müssen. Es wäre auch unschwer möglich gewesen, zumindest bis zur erfolgten Zurruhesetzung des Bf Ende Januar 2006, die Vorwürfe gegen dessen Sohn abschließend zu klären. Die von diesem in seiner Vernehmung aufgeführten Entlastungszeugen wurden jedoch erst im Mai 2007 vernommen. Die Vernehmungsniederschrift des Lt. Ruwe vom 15. November 2005 ist beigefügt.
Der vorgenannte Referatsleiter unterließ es in seinem
ausführlichen Vermerk bewusst, den Herrn Bundesminister davon zu
unterrichten, dass es sich bei den Vorwürfen gegen Lt. Ruwe
a) um Aussagen von Kameraden handelte, die er, Lt. Ruwe, selbst einiger
Dienstvergehen bezichtigt hatte,
b) die sich zum zentral bedeutsamen „Sieg Heil“-Vorwurf nur auf viele
Monate zurückliegende Gerüchte und Schwätzereien beriefen und dass
c) der Wahrheitsgehalt dieser Vorwürfe durch die Vernehmung des
Betroffenen stark relativiert war.
Der Auslöser für das Einschalten des Bf, nämlich der gegen den Sohn des Bf, Leutnant Ruwe, erhobene Vorwurf, den Ausdruck „Sieg Heil, Kameraden“ verwendet zu haben, hat sich in den nicht beschleunigten und zäh durchgeführten Ermittlungen gegen diesen inzwischen als ein bloßes, in seinem Ursprung nicht dingfest zu machendes und nicht haltbares Gerücht erwiesen: Nachdem sich Lt. Ruwe seit mehr als einem Jahr mittels einer nicht beschiedenen Wehrbeschwerde, einer ebenfalls nicht beschiedenen weiteren Beschwerde, eines als unzulässig zurückgewiesenen Antrags beim 1. Wehrdienstsenat des BVerwG und eines als unbegründet zurückgewiesenen Antrags beim Truppendienstgericht Nord vergeblich bemüht hatte, sein Verfahren zu beschleunigen, wurde ihm durch den Wehrdisziplinaranwalt des Streitkräfteamtes am 3. Mai 2007 – also wenige Tage nach Bekanntwerden des hier angefochtenen Beschlusses des 2. Wehrdienstsenats - eröffnet, dieser Vorwurf werde fallen gelassen. Ferner hat die Staatsanwaltschaft Hamburg das Verfahren gegen Lt Ruwe wegen des angeblichen Nazi-Grußes gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Sobald die entsprechenden Bescheide hier vorliegen werden wir sie nachreichen. Es handelte sich um die zweite Vernehmung des Lt. Ruwe nach dessen erster am 15. November 2005. Mündlich wurde ihm im Beisein seines Anwalts erklärt, rechtsradikalem Gedankengut anzuhängen, sei ihm von der Wehrdisziplinaranwaltschaft des Streitkräfteamtes nie unterstellt worden. (der noch nicht unterzeichnete Entwurf des Vernehmungsprotokolls ist beigefügt).
4. Angesichts der auch im Beschluss festgestellten fast 40-jährigen treuen und besonders herausgehobenen Dienstpflichterfüllung des Bf, die bereits 1991 zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande führte, ist der erhobene Vorwurf schwerwiegend und persönlich besonders belastend.
5. Der Vorgang einschließlich der Vorwürfe war Gegenstand einer bundesweiten Medienberichterstattung, wie sich aus den beigefügten Presseartikeln, die nur einen kleinen Teil der Gesamtberichterstattung abdecken, ergibt (beigefügt). Der – anders als die anderen Vorwürfe – schwer ehrenrührige Vorwurf, als Sohn eines hohen Generals den „Sieg-Heil-Kameraden“-Gruß gesagt zu haben und der damit gemischte Vorwurf, die Generäle hätten gekungelt, war für die Medien ein „gefundenes Fressen“. Die öffentlichen Vorwürfe waren besonders ehrenrührig für die gesamte Familie des Bf.
Die Medienöffentlichkeit des Gesamtvorgangs ist nicht durch den Bf ausgelöst worden. Vielmehr wurde der Vorwurf gegen den Bf - mit einem Tenor wie in den genannten Leitungsvorlagen angekündigt („kungelnde Generale, die versuchen, den rechtsradikalen Sohn des einen zu decken“) - aus dem BMVg heraus just an dem Tag an das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ durchgestochen, als der Beschwerdeführer gerüchteweise von der Absicht seiner Entlassung erfahren und den zuständigen Staatssekretär im BMVg zur Rede gestellt hatte. (Erstveröffentlichung dieser Angelegenheit im „Spiegel“ vom 21. Januar 2006 beigefügt). Wegen dieser Indiskretion hatte der Bf Strafanzeige gestellt; die wenig intensiven und daher erfolglosen Ermittlungen in dieser Angelegenheit sind jedoch inzwischen wegen Verjährung eingestellt worden.
Darüber hinaus war der Ruf des Bf nach Presseberichten (s. u.a. Die Welt vom 31.01.2006) sowie nach Einlassungen des MdB Rainer Arnold dem Bf gegenüber bereits deutlich vorher durch Informationen aus dem BMVg an die Vorsitzende und weitere Mitglieder des Verteidigungsausschusses geschädigt worden. Es habe dort einen „größeren Kreis von Wissenden“ gegeben. Nach Presseberichten (online-Dienst der Berliner Zeitung, beigefügt) hat der Bundesminister der Verteidigung in der zweiten Februarwoche 2006 im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages die Vorwürfe gegen den Bf wiederholt und dabei von ihrer strafrechtlicher Relevanz gesprochen. Nach einer Meldung der Berliner Morgenpost vom 1. Februar 2006, deren Richtigkeit dem Bf von Teilnehmern der Veranstaltung bestätigt wurde, hat der Bundesminister der Verteidigung diese Vorwürfe auch im Erweiterten Führungskreis des Heeres vor einer großen Zahl von Teilnehmern mit dem selben Tenor verbreitet.
Der Bf ist in seinem Kameradenkreis bundesweit und aufgrund seiner vielfältigen internationalen Verbindungen darüber hinaus den Spitzenmilitärs etlicher Länder in und außerhalb Europas bekannt und war hoch geachtet. Den Vorgang mehreren Dutzend enger ausländischer Kameraden, darunter auch israelischen, erklären zu müssen, ohne dabei das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zu beschädigen, war von einem hohen Grad an Peinlichkeit geprägt und im Ergebnis nahezu unmöglich. Die ausländischen Kameraden des Bf mussten sich zwangsläufig fragen, ob der Bf die Unwahrheit sage oder an ihrem bisherigen Bild von der Bundesrepublik Deutschland etwas nicht stimme.
Die mit dem – öffentlichen – Vorwurf verbundene Herabsetzung in der Öffentlichkeit wiegt schwer und dauert nachdrücklich fort. Die Pressemitteilung des BVerwG zum Beschluss des 2. Wehrdienstsenat vom 26. April 2007 unter eindeutigem Bezug auf den Fall Dieter/Ruwe musste nahezu zwangsläufig den Eindruck erwecken, der 2. Wehrdienstsenat habe die Position des Bundesministers der Verteidigung uneingeschränkt bestätigt, der ursprüngliche Vorwurf und die Entlassung der „kungelnden Generale“ seien somit rechtmäßig gewesen. So jedenfalls wurde es – nach Auskunft des verantwortlichen Redakteurs des DDP mit Interpretationshilfe der Pressestelle des BVerwG - in bundesweiten Agenturmeldungen und in einigen überregionalen Zeitungen verbreitet. Der Versuch der Richtigstellung durch den Bf hatte nur begrenzten Erfolg. Diese Medienöffentlichkeit mit dem Bild des „kungelnden Generals“ bewirkt und hinterlässt eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Bf letztlich bis an sein Lebensende und im Übrigen auch des Sohnes und der gesamten Familie.
6. ...Aus den vorgelegten Unterlagen wird deutlich, dass die
(damals noch unerfahrene) Amtsführung des BMVg durch die Fachebene
außerordentlich schlecht informiert und beraten wurde.
Gegenstand der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nach Art.
33 Abs. 5 GG ist die Fürsorgepflicht des Dienstherrn: Der Soldat hat wie
der Beamte ein grundrechtsgleiches Recht nicht nur auf materielle
Versorgung, sondern auch darauf, von seinem Dienstherrn gegen
öffentliche Vorwürfe, erst recht, wenn diese sachlich falsch oder
rechtlich unbegründet sind, geschützt zu werden. Denn nur so kann der
Bedienstete seine Aufgabe wahrnehmen, eine stabile und nur dem Gesetz
verpflichtete öffentliche Verwaltung zu sichern. Die Institution des
Berufsbeamtentums wäre in ihrer Funktionsfähigkeit gefährdet, wenn der
Dienstherr öffentlich oder auch nur behördenöffentlich erhobenen
Vorwürfen gegen einen Berufssoldat damit begegnen dürfte, dass er sich
zur Vermeidung seiner fürsorglichen Pflicht, die Vorwürfe zu prüfen und
wahrheitsgemäß aufzuklären, dadurch entzöge, dass er sich des Soldaten
“entledigt“. Das gilt für Soldaten, insbesondere Berufssoldaten in
gleicher Weise wie für Beamte. (Siehe zur Fürsorgepflicht als
Strukturprinzip BVerfGE 64, 367, (379); 106, 225 (231 f.); 107, 218 (236
f.). Zur Geltung der Maßstäbe des Berufsbeamtentums für Soldaten BVerfGE
16, 94, (117); 44, 249, (281); 65, 141, (147).
Der betroffene Soldat muss von seinem Dienstvorgesetzten erwarten, dass dieser alles daran setzt, die (in diesem Fall einfache) Wahrheit zu ermitteln, den Sachverhalt sodann rechtlich sauber zu beurteilen und sich soweit möglich öffentlich schützend vor seinen Soldaten zu stellen. ... Der Soldat muss darauf vertrauen können, dass die amtliche und öffentlich gewordene Feststellung seines Dienstvorgesetzten, des Bundesministers der Verteidigung, er habe ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, weil er seine dienstliche Verschwiegenheitspflicht verletzt habe, nicht leichtfertig und fehlerhaft, nämlich grob rechtswidrig, und dazu noch öffentlichkeitswirksam erfolgt.
Zur Begründetheit:
Die Rechtsverletzung zu seinem Nachteil beruht auf einer groben
Verkennung der durch die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums
gefassten und gesicherten Rechte des Soldaten, auf einem geradezu
leichtfertigen Umgang mit dem Persönlichkeitsrecht des Bf und auf einer
krassen Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze.
Das Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG
sowie die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, soweit diese
auch für Soldaten gelten, aus Art. 33 Abs. 5 GG sind verletzt worden.
...
Die förmliche Feststellung eines Dienstvergehens ist, was den
Rechtsschutz dagegen angeht, etwa einem Verweis oder einem anderen
förmlichen Unwerturteil gleich zu setzen, weil diese Feststellung einen
persönlichen Schuldvorwurf enthält. Nicht anders ist die
Beschlussentscheidung des 2. Wehrdienstsenats zu verstehen. Die
Feststellung eines Dienstvergehens in der Einstellungsverfügung des
Bundesministers der Verteidigung geht darüber noch deutlich hinaus, weil
das Dienstvergehen in der Begründung als so schwerwiegend bewertet wird,
dass es eigentlich nur durch eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme zu
ahnden gewesen wäre.
Indem der Beschluss des 2. Wehrdienstsenats in seiner Begründung nur
implizit erkennen lässt, dass er auf einem anderen Sachverhalt fußt als
die Disziplinarverfügung des Bundesministers der Verteidigung, und sich
zur Qualität des festgestellten Dienstvergehens nicht einlässt, wird das
durch den Antrag des Bf an das BVerwG geltend gemachte
Rechtsschutzbegehren quasi unterlaufen. Der unbefangene Betrachter muss
aus der Formulierung des Beschlusses und aus der Pressemitteilung des
Gerichts folgern, das vom Bundesminister der Verteidigung konstatierte
Dienstvergehen sei von diesem korrekt beschrieben und bewertet worden.
Die Überschrift der erwähnten Pressemitteilung des BVerwG lässt kaum
einen anderen Schluss zu.
Die Bewertung und Würdigung des Sachverhalts, die die Feststellung des Dienstvergehens stützt, ist unvertretbar und grob rechtswidrig, wie sich aus folgendem ergibt:
1. Ein zuständiger Amtsträger, nämlich der Leiter der vorgesetzten höheren Einleitungsbehörde, GenLt Dieter, hatte (in Kenntnis des Amtschefs des Streitkräfteamtes als untere Einleitungsbehörde sowie des Generalinspekteurs der Bundeswehr) entschieden, dem Bf „ als ‘Kameradenvater ‘ Gelegenheit geben zu wollen, auf dessen Sohn ‘im Sinne der Sache‘ positiv einzuwirken“ (Nr. 27 d. Beschl.).
Die Einschaltung des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, durch GenLt Dieter vor Übergabe des Vermerks des WDA vom 17. 10. 2005 am 21. 10. 2005 an den Bf ergibt sich aus dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten von GenLt Dieter an das BVerwG auf dessen Hinweis hin. Wenn ein zuständiger Behördenleiter einen wie auch immer zur Geheimhaltung klassifizierten Vorgang erhält, so liegt es in seinem dienstlichen Ermessen, diese Klassifizierung zu verändern; das Dienstgeheimnis unterliegt seiner verantwortlichen Bewertung und Entscheidung.
Derjenige, der die erste Klassifizierung vorgenommen hat, verliert die Verfügungsmacht mit der Weitergabe an eine andere zuständige Stelle. Das Dienstgeheimnis wird deren Geheimnis; sie kann darüber nach eigenem Ermessen verfügen. Dies gilt erst recht dann, wenn es sich bei dem Adressaten um die vorgesetzte Dienststelle handelt (höhere Einleitungsbehörde). Dieser kann und darf über die Geheimhaltungspflicht verfügen (siehe z. B. BGHSt 48, 126 ff.). Er dürfte etwa auch darüber der Presse erbetene Auskünfte erteilen. Handelt er dabei fehlerhaft, so ist das keine Frage einer Straftat oder eines Dienstvergehens, sondern eine Frage der Fach- oder Rechtsaufsicht. Deshalb ist es absurd, GenLt Dieter einen dienstrechtlichen Vorwurf zu machen: Er hätte Lt. Ruwe auch direkt von dem gesamten Vorgang informieren dürfen (und angesichts des schleppenden Verfahrensganges – das angebliche Geschehnis des Nazi-Grußes soll im Dezember 2004 erfolgt sein; die Vorwürfe waren dem WDA im Juni 2005 bekannt geworden - sowie angesichts der Meldung des ihn betreffenden Vorgangs an Stellen außerhalb des Dienstweges einer Erstzuständigkeit auch müssen). Es war angezeigt, diese Information durchzuführen, weil seit dem angeblich inkriminierten Verhalten bereits viele Monate verstrichen waren, ohne dass die Ermittlungen gefördert waren und der Betroffene vernommen worden war ( die erste Vernehmung erfolgte erst später, nämlich am 15. November 2005). Zudem war die Sache wegen der bereits innerhalb und außerhalb des Ministeriums mit einem breiten Verteiler im Geschäftsgang befindlichen Meldung eines sogenannten Besonderen Vorkommnisses zu der angeblichen „Sieg Heil, Kameraden“-Äußerung im Hinblick auf die angedachte Leitungsvorlage außerordentlich eilbedürftig.
Aus der Sicht des Bf gab es keinen Grund, an der Kompetenz des
Leiters der höheren Einleitungsbehörde, ihn einzuschalten, zu zweifeln.
Aus der Sicht des Bf gab es nach seiner Einschaltung durch die höhere
Einleitungsbehörde ebenfalls keinen Grund, an seiner eigenen Kompetenz
zu zweifeln, die Sache offen mit dem betroffenen Soldaten, nämlich
seinem Sohn, zu erörtern.
Aus der Sicht des Bf lag dies aus drei Gründen nahe:
a) Die Meldung des (lange Zeit zurückliegenden und lediglich aus
Gerüchten ableitbaren) Vorwurfs durch die Einleitungsbehörde, dem
Amtschef Streitkräfteamt, an die höhere Einleitungsbehörde, also an
GenLt Dieter, erfolgte nur deshalb, weil der (von Kameraden, über die er
sich zuvor beschwert hatte) beschuldigte Leutnant Ruwe der Sohn des Bf
ist. Dies geht aus der dienstlichen Stellungnahme des Amtschefs des
Streitkräfteamtes, Konteradmiral ... vom 28. November 2006 hervor. Dort
heißt es auf S. 2:„Da ich verhindern wollte, dass dieses BV mit
den Verdachtsmomenten gegen den Sohn des Stellvertretenden Inspekteurs
des Heeres ‘ohne Vorwarnung‘ im BMVg einging, erteilte ich die Weisung,
mit der Meldung abzuwarten bis ich meinen Vorgesetzten, Herrn
Generalleutnant Dieter, mündlich über die Vorfälle unterrichten konnte.
... Auch aufgrund der damaligen Dienststellung des Vaters von Leutnant
Ruwe hielt ich es für erforderlich, Herrn Generalleutnant Dieter in
seiner Funktion als übergeordnete Einleitungsbehörde persönlich vor der
beabsichtigten Meldung eines Besonderen Vorkommnisses über den aktuellen
Kenntnisstand und die sich daraus gegebenenfalls ergebenden
Problematiken zu informieren. Ich bat ihn deswegen im Anschluss an die
oben aufgeführte Besprechung vom 19. Oktober 2005 um einen
Besprechungstermin, der noch für den selben Tag um 14:00 Uhr festgesetzt
wurde. Im Rahmen dieses Gesprächs setzte ich Generalleutnant Dieter über
die Vorfälle und die bisher eingeleiteten Ermittlungen in Kenntnis. Ich
wies darauf hin, dass die Meldung eines BV wegen der behaupteten „Sieg
Heil, Kameraden“-Äußerung des Leutnant Ruwe unumgänglich sei und stellte
die Frage, ob er es für angebracht halte den Vater des Leutnant Ruwe
darüber zu informieren, dass gegen seinen Sohn ermittelt werde. ...“
Dieser Vermerk ist Bestandteil der Gerichtsakten. Daraus wird der Grund
für die Befassung der Bf mit der Angelegenheit deutlich; sie war ein
legitimes dienstliches Anliegen.
b) Mit der vorgesehenen Meldung an die Leitung des Ministeriums (unter Nennung des Namens und des Dienstgrades des Bf) entstand ein diesen betreffender Personalvorgang, der selbstverständlich nicht hinter dem Rücken des betroffenen Bf stattfinden durfte, zumal dafür kein Anlass bestand. Es wäre ein Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens gewesen, von einer Information des nun Mit-Betroffenen abzusehen.
c) Auch durch die truppendienstliche Meldung eines Besonderen Vorkommnisses („Sieg Heil, Kameraden“-Äußerung) – im übrigen auch dies unter Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs des Lt Ruwe – war der Bf persönlich betroffen. Er ging zum damaligen Zeitpunkt davon aus, dass die Meldung unter voller Namensnennung erfolgt sei. Dies erwies sich zwar später als unzutreffend; nichtsdestoweniger war das BV im Ministerium mündlich sofort mit dem Sohn des Stellvertretenden Inspekteurs des Heeres verknüpft worden und in dieser Verknüpfung auch im Führungsstab des Heeres bekannt geworden. Die Einschaltung des Bf durch GenLt Dieter hatte also eine dienstliche Motivation; er wandte sich aus nachvollziehbaren Gründen und keineswegs heimlich oder aus privaten Motiven an den Bf. Angesichts des überlegten und offenen, dienstlich motivierten Vorgehens des Leiters der höheren Einleitungsbehörde kann von Kungelei keine Rede sein.
2. Der Amtswalter GenLt Dieter schaltete den Bf in erster Linie nicht in dessen amtlicher, sondern in dessen privater, familiärer Eigenschaft ein: Er sollte nicht seinerseits auch als Amtswalter, sondern als Vater tätig werden. Ein „Kameradenvater“ ist kein Soldat, sondern dessen Vater, eine Privatperson. Dafür spricht auch die Formulierung des Übergabevermerks. Dennoch stellt das Gericht fest, der fragliche Vermerk vom 17. 10. 2005 sei dem Bf „in seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt geworden“ (Nr. 29 d. Beschl.). Das Gericht verkennt damit den Begriff des Dienstgeheimnisses; es erkennt jedenfalls nicht die ausdrücklich persönliche Komponente der Einschaltung des Bf und lässt sie unerörtert. Dies spielt für die Bewertung der Weitergabe an seinen Sohn eine nicht zu vernachlässigende Rolle.
Geht man gegen den festgestellten Sachverhalt davon aus, der Bf sei in seiner dienstlichen Eigenschaft eingeschaltet und deshalb sei ihm der Vermerk übergeben worden, so muss das Gericht diese Eigenschaft näher präzisieren, weil nur anhand einer konkreten Zuständigkeit festgestellt werden kann, welche Verwendungsbefugnis der BF hinsichtlich der personenbezogenen Daten gehabt oder verletzt haben könnte. Hier hätte das Gericht durch einen aufklärenden Hinweis Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen, um eine überraschende Entscheidung zu vermeiden.
Die Frage der Befugnisse hätte sich im übrigen angemessen klären lassen, wenn der Senat die in sein Ermessen gestellte Möglichkeit genutzt hätte, eine mündliche Verhandlung mit militärischen Beisitzern (gem. §§ 75 Abs. 2, 80 Abs.3 WDO Beisitzer aus der Dienstgradgruppe der Generäle) anzusetzen, von denen zumindest der Höherrangige über ministerielle Erfahrungen verfügt hätte. Angesichts des Umstandes, dass dem Bf vom Bundesminister der Verteidigung das gemäß § 95 WDO beantragte Verfahren zur Selbstreinigung verweigert worden war, sowie wegen der hohen Bedeutung des daraus resultierenden Antragsverfahrens für den Bf hätte eine solche Besetzung des Senats nahe gelegen. (Eine Besetzungsrüge war und ist damit nicht verbunden.)
3. Als dienstlicher Grund, dessentwegen der Bf eingeschaltet wurde, kommt nur in Betracht, dass er der Vater des beschuldigten Leutnants ist, sich also der Vorwurf gegen diesen auch auf seine, des Bf, Familie und auf seine dienstliche Stellung bezieht, die Familie eines prominenten Generals der Bundeswehr. Insofern mischen sich dienstliche und familiär-private Belange, was in herausgehobenen Positionen keine Seltenheit ist. Die Unterscheidung zwischen Amt und Person verschwimmt immer dann, wenn der Amtsträger (auch) als Träger privater Rechte, insbesondere als Grundrechtsinhaber betroffen ist. Hier kommt unter anderem das Persönlichkeitsrecht und das Recht aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG in Betracht. Nach seiner verantwortlichen Entschließung wollte der Leiter der höheren Einleitungsbehörde entsprechend der Anregung des Leiters der unteren Einleitungsbehörde die Vaterposition des Bf dienstlich nutzen; das mag ungewöhnlich sein, lag aber in der hier vorliegenden Konstellation durchaus nahe. (Selbst wenn man an der Zweckmäßigkeit dieser Entschließung zweifelt, so ändert das ja nichts daran, dass der Bf tatsächlich mit einem klaren persönlichen Auftrag eingeschaltet wurde und entsprechend handeln musste.) Der Umgang mit personenbezogenen Daten und die dabei einzuhaltenden Regeln haben diesen gemischten, kumulativ vorliegenden Belangen dienstlicher und persönlicher Natur zu genügen. Als dienstlicher Belang bestand die Bitte/der Auftrag der höheren Einleitungsbehörde, auf den Sohn „im Sinne der Sache positiv einzuwirken“. Das Gericht lässt aber unerörtert, wie dies hätte geschehen können, ohne den Sohn zuvor über die Vorwürfe zu informieren. Denn der Vermerk vom 17. Oktober enthielt im Hinblick auf Lt Ruwe nur diese Vorwürfe.
4. War es aber auch in diesem Falle seine Aufgabe, auf den eigenen Sohn zuzugehen, so handelte es sich zumindest um eine von privaten Verhältnissen geprägte und bestimmte dienstliche Aufgabe des Bf, die es durchaus geben kann. Nur darf man dann nicht einerseits eine Einwirkungs-, d. h. immer auch Informationspflicht auferlegen und gleichzeitig stillschweigend von striktesten Schweigepflichten ausgehen. Denn es bestanden aus einer Reihe von Gründen keine Geheimhaltungspflichten dem Betroffenen gegenüber: Die Wehrdisziplinarordnung sieht in §§ 92, 97 vor, dass der Soldat so früh wie möglich zu hören ist; das schließt seine Unterrichtung, fairerweise seine vollständige Information über den Stand der Dinge, ein, wenn die Ermittlungen dadurch nicht ausnahmsweise und begründeterweise gefährdet würden. Aus dem Vermerk vom 17. Oktober 2005 ging aber nicht der Stand der Dinge, sondern lediglich der Vorwurf gegen Lt. Ruwe hervor.
Aktenvermerke eines Wehrdisziplinaranwalts, die mit „NICHT FÜR DIE AKTEN“ bezeichnet und als Nebenakten geführt werden, sind unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und in Ansehung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ein Skandal: Denn der Vermerk ist mit seiner Entstehung unablöslicher Teil des Disziplinarvorgangs (dazu gehören alle Amtshandlungen des Vorermittlers und des Ermittlers) oder Teil der Personalakte (materieller Personalaktenbegriff). Geheimakten, die vor dem Soldaten verborgen bleiben dürften, sieht das Gesetz in Deutschland nur im Dienstbereich der Geheimdienste, nicht aber bei einfachen Personalvorgängen innerhalb der Bundeswehr vor. Wegen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung hätte es zur Verheimlichung aber einer klaren gesetzlichen Vorschrift bedurft. Das scheint aber vom 2. Wehrdienstsenat in seiner Entscheidung nicht erkannt worden zu sein, es wird jedenfalls nicht erwähnt. Ist eine gesetzliche Befugnis zur Vorenthaltung einer personenbezogenen Angabe über den Betroffenen diesem gegenüber nicht ersichtlich, so stehen die Daten dem Betroffenen zur Kenntnis zu. Das gilt auch für Daten mit Doppelbezug (siehe unter 6).
5. Weder aus dem Vermerk noch aus anderen Teilen des Geschehens ergab sich ein erkennbarer Grund, dass das Verfahren gefährdet würde, wenn Lt. Ruwe vom Inhalt des Vermerks erführe. Das bleibt auch in dem hier angefochtenen Beschluss unerörtert. Formelhaftes reicht dazu nicht. Das öffentliche Interesse an einer Geheimhaltung kann auch nicht lediglich mit dem pauschalen Verweis auf die gebotene vertrauliche Behandlung von Personal- und Disziplinarsachen begründet werden zumal offen bleibt, ob sich das Gericht überhaupt darüber Gedanken gemacht hat, dass diese Vertraulichkeit in erster Linie zum Schutz des Betroffenen (aber doch nicht vor sich selbst!) besteht. Andere, objektiv-dienstliche Belange, die hätten geschützt werden müssen, bleiben unerörtert, unabgewogen, ja völlig unerwähnt.
Ein Vater, der – ausdrücklich dienstlich gebeten und beauftragt, seinen erwachsenen Sohn zu beeinflussen – in dieser Situation Informationen zurückhalten würde, wäre ein miserabler Ratgeber. Deshalb, und weil auch keine weiteren etwa von irgendeiner Seite konkretisierten dagegen sprechenden Gründe bekannt gegeben waren, lag es im legitimen Interesse des Bf, seinen Sohn zu unterrichten. Dies war von seinem Auftrag, um dessen Erfüllung ihn GenLt Dieter gebeten hatte, umfasst.
Der Vermerk von Herrn GenLt Dieter „zu Deiner persönlichen Kenntnis“ schloss diese Unterrichtung des Sohnes selbstverständlich ein, wenn auch auf das gebotene Maß beschränkt. Mit dem Wort „persönlich“ werden die Vaterfunktion und der Gesprächsauftrag erfasst und beschrieben. Kein anderer Zweck ist ersichtlich. Diese nahe liegende Auslegung bleibt zu Lasten des Bf unerwähnt. Der Bf hat sich als Vater im Rahmen seiner von ihm erbetenen Aufgabe bewegt und genau das getan, worum er gebeten worden ist. Ob der Vater seinem Sohn den Vermerk nun vorliest oder ihn ihm zum Lesen in die Hand gibt, ist ersichtlich irrelevant. Das Gericht verkennt die Geheimhaltungsregeln. Es lässt nahe liegende Sichtweisen unerwähnt.
6. Das Gericht verkennt auch den Begriff der personenbezogenen Daten und der informationellen Selbstbestimmung: Mit Anfertigung des Vermerks werden personenbezogene Daten des Lt Ruwe verarbeitet. Werden im gleichen Vermerk außerdem Daten anderer Personen (hier des ...) verarbeitet, so entstehen Daten mit Doppelbezug, denn aus der Tatsache der gemeinsamen Verarbeitung in ein und demselben Vorgang entstehen Verwendungszusammenhänge, und zwar nach dem Willen des Vermerksverfassers. Jeder Betroffene hat dann an allen Daten, den ursprünglich eigenen und den durch den Verwendungskontext verbundenen Daten der anderen Personen, die zu eigenen geworden sind, ein eigenes Selbstbestimmungsrecht-Recht, jedenfalls ein Auskunfts- und Einsichtsrecht in Bezug auf den gesamten Zusammenhang, in den ihn der Vermerksverfasser gestellt hat. Soweit der Vermerksverfasser in seinem Vermerk vom 23. November 2006 (in Kopie beigefügt) auf S. 3 begründet, weshalb er nicht drei getrennte Vermerke über die drei in das Geschehen und in das Verfahren involvierten jungen Soldaten angefertigt habe, wird das noch klarer: Dies hätte gedroht, „die aufzuzeigende Problematik zu verzerren“. Denn Auslöser des Gesamtvorgangs war eine Beschwerde des Lt Ruwe; die von ihm Beschuldigten haben dann den Spieß herumgedreht und ihn beschuldigt. Deshalb stehen dem Lt Ruwe alle Informationen aus dem Vermerk zu. Dennoch hat ihm der Vater nur die Seiten 4 bis 6 zum Lesen gegeben und sie dann wieder an sich genommen.
7. Ferner verkennt das Gericht, dass aus grundrechtlicher Sicht eine Schweigepflicht dem Betroffenen gegenüber nicht besteht. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn das Gericht bei einer Information des Betroffenen über den ihn betreffenden Personalvorgang von einer „Übermittlung“ (Nr. 37 des Beschlusses) spricht, macht es deutlich, dass ihm Wortbedeutung und Systematik des Rechts der informationellen Selbstbestimmung unbekannt sind: Übermittlung ist die Bekanntgabe an einen Dritten, also gerade nicht an den Betroffenen. Würde man die Übermittlungsregeln auf eine Information des Betroffenen über „seine“ Daten anwenden, wäre dies eine wirkliche Perversion des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Das scheint dem 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts nicht klar geworden zu sein.
8. Auch der Begriff der „Mitteilungen im dienstlichen Verkehr“ wird verkannt: Wenn das Gericht meint, darunter könnten „nur Auskünfte an Personen oder Dienststellen verstanden werden, die mit der Sache unmittelbar befasst sind“ (Nr. 32 d. Beschl.), so ist das ein Zirkelschluss, denn jedes Befasst-Sein setzt voraus, dass bereits Informationen über die Sache erhoben oder übermittelt wurden. Wer nach der Entschließung der zuständigen Stelle Informationen offiziell erhält – gleichgültig, ob materiell zu recht oder nicht – ist in den dienstlichen Verkehr eingebunden. Beispiel dafür ist die Pressearbeit einer Behörde. – Am Rande: die angeführten ZdV können wegen ihres untergesetzlichen Charakters hier keine entscheidende Rolle spielen; die Zitate sind abseitig. Denn es geht um Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, das nur durch ein Gesetz eingeschränkt werden kann (BVerfGE 65, 1, 44).
9. Besonders bedauerlich ist, dass ein Gericht in Deutschland noch immer die Vertraulichkeit als Selbstzweck, mithin als Abschottung eines Vorgangs gegenüber dem von ihm Betroffenen definiert. Man muss sich fragen, wem gegenüber die Vertraulichkeit eines Personalvorgangs zu wahren ist: Die Ausführungen des Beschlusses auf S. 19 f. sind geradezu beängstigend: Es heißt in Nr, 34 d. Beschl.: „Disziplinarsachen gehören zu den Personalangelegenheiten eines Soldaten, dessen durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung...besonders geschützte private Sphäre durch solche Vorgänge weitgehend berührt wird. ...Aus diesem Grunde bedürfen sie – wie alle Personalangelegenheiten – einer vertraulichen Behandlung und dürfen als personenbezogene Daten nur auf gesetzlicher Grundlage unter strikter Beachtung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung offenbart werden. Disziplinarsachen genießen deshalb sowohl im persönlich-privaten Interesse des betroffenen Soldaten als auch im dienstlichen Interesse einen besonderen Vertraulichkeitsschutz.“ Damit umreißt das Gericht seinen tragenden Grund für seine Entscheidung. Das Gericht kommt offenbar nicht auf die Idee, dass es dem Bf vorwirft, den Betroffenen über seine Daten informiert zu haben. Das öffentliche Interesse an der Vertraulichkeit besteht in erster Linie deshalb, weil das Gemeinwohl beeinträchtigt wird, „weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist“ (BVerfGE 65, 1, 43). Dem Betroffenen seine eigenen Daten mit der Begründung des angefochtenen Beschlusses vorzuenthalten ist eine offensichtliche und schwerwiegende Verkennung eines Grundrechts.
Zwar ist das verkannte Grundrecht kein Grundrecht des Bf; die Verkennung trifft ihn aber dennoch. Jedenfalls durfte er zugunsten seines Sohnes über dessen Daten verfügen. Wenn dem Bf dienstrechtlich und disziplinarrechtlich mit schwerwiegenden Folgen der öffentliche Vorwurf der Verletzung einer Kernpflicht aus dem Soldatenverhältnis mit der Begründung gemacht wird, er habe durch Verletzung seiner Verschwiegenheitspflicht gegen das Grundrecht seines Sohnes auf informationelle Selbstbestimmung deshalb verstoßen, weil er diesen als den Grundrechtsträger im dienstlichen Auftrag über die diesen selbst betreffenden Daten informiert habe, so deutet das nicht nur auf Ignoranz, sondern beweist eine Verkennung der Grundrechtslage. Damit verletzt das Bundesverwaltungsgericht den Bf in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 5 GG.
Es hätte vielmehr die Frage nahe gelegen, inwieweit durch die Information des Betroffenen über gegen ihn erhobene (noch dazu unzutreffende) Vorwürfe nicht der gravierende Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs geheilt wurde, der dadurch entstanden war, dass die Einleitungsbehörde diese Vorwürfe ohne Wissen des Betroffenen und ohne dass dieser eine Möglichkeit gehabt hätte, sich zu ihnen zu äußern, mit dem Zweck der Leitungsbefassung ins Ministerium hineingetragen und ein besonders schwerwiegendes als Besonderes Vorkommnis mit breitem Verteilerkreis gemeldet hatte.
10. Logisch nicht mehr nachvollziehbar ist die Formulierung in Nr. 45 d. Beschl. oben zur „eigenmächtigen Weitergabe von nicht über den Dienstweg erlangten Informationen ohne Kenntnis des ermittelnden Wehrdisziplinaranwalts.“ Denn das wird im Sachverhalt nicht nur nicht bestätigt, sondern es wird das Gegenteil festgestellt. Zumindest hat das Gericht es versäumt, die hier geltend gemachten Überlegungen, die angesichts des festgestellten Sachverhalts nahe liegen, anzustellen. Auf die Kenntnis des WDA kommt es ersichtlich nicht an, weil er nicht mehr Herr des Verfahrens war, nachdem die höhere Einleitungsbehörde den Vorgang bearbeitete. Auch das wird vom 2. Wehrdienstsenat offenbar nicht verstanden.
11. Schon die Tatsache, dass der Bf während der Wochenendtagung des Deutschen Bundeswehrverbandes, in der ihm der Vermerk des Wehrdisziplinaranwalts übergeben worden war, völlig offen über den ihn und seinen Sohn betreffenden Vorgang mit mehreren Kameraden (u.a. mit Brigadegeneral .., Nr. 25 d. Beschl.) gesprochen und unmittelbar zu Beginn der folgenden Woche eine eigene schriftliche Stellungnahme (beigefügt) Herrn GenLt Dieter gegenüber abgegeben hat, nachdem er diese zuvor zusammen mit dem gesamten Vorgang seinem dienstlichen Rechtsberater, ..., zur Kenntnis und mit der Bitte um Prüfung übergeben hatte, macht deutlich, dass von einer illegalen oder heimlichen Informationsverarbeitung keineswegs die Rede sein kann. Das hätte gewürdigt werden müssen, zumal ein im Grund strafrechtlich relevanter Vorsatz unterstellt wird. Unerwähnt lässt das Gericht den Sachstand des Disziplinarvorgangs gegen Lt. Ruwe. Es werden auch keinerlei konkrete Ausführungen dazu gemacht, dass und etwa wie dieser Vorgang durch die Handlungen des BF beeinflusst oder gar beeinträchtigt hätte werden können. Formelhaftes zum „dienstlichen Interesse“ reicht da nicht; denn die zuständigen Amtsträger hatten aus guten dienstlichen Gründen anders entschieden. Damit hätte sich das Gericht naheliegenderweise auseinandersetzen müssen.
12. Zu den hier dargelegten und durchaus nahe liegenden Erörterungen zwingt das Gericht auch die Unschuldsvermutung als Teil des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 3 GG ( BVerfGE 22, 254, (265)), die auch im Disziplinarverfahren gilt und insofern dem betroffenen Bf aus Art. 33 Abs. 5 GG ein grundrechtsgleiches Recht verleiht. Denn die Unschuldsvermutung gehört zum Kernbestand der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Insofern sind die vom 2. Wehrdienstsenat nicht nachvollziehbar belastenden Würdigungen – soweit sie überhaupt angestellt wurden - unvertretbar im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 18, 85 ff.
Dr. Giesen
Rechtsanwalt