Chronologie der Ereignisse
(November 2007)
Am 27. Januar 2006 wurde ich nach § 50 Soldatengesetz in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Dies ist bei Generalen - wie bei hohen Ministerialbeamten – jederzeit ohne Angabe von Gründen möglich. Dem Bundespräsidenten und vorher schon durch Staatssekretär Dr. Peter Wichert dem Parlament gegenüber wurde behauptet, Generalleutnant a.D. Dieter und ich hätten uns der Kungelei zugunsten meines angeblich rechtsradikalen Sohnes schuldig gemacht. Dies wurde auch an das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ durchgestochen. Möglicherweise nicht dem Minister, aber zumindest den für diese Maßnahme Zuständigen im BMVg war bereits damals klar, dass die Vorwürfe gegen General Dieter und mich nicht zutrafen und mein Sohn nicht rechtsradikal ist. Der wahre Grund für diese Maßnahme war nach meinen zwischenzeitlichen Erkenntnissen ein anderer: General Dieter und ich waren – im übrigen aus ganz unterschiedlichen Gründen - Generalinspekteur Schneiderhan zu unbequem geworden.
Meine interne Kritik an einigen Erscheinungsformen der sog. Transformation der Bundeswehr wurde zunehmend von der militärischen Führung geteilt. In der Generalstagung des Deutschen Bundeswehrverbandes am 21./22. Oktober 2005 – andere Möglichkeiten des Gedankenaustausches innerhalb der militärischen Führung hatte General Schneiderhan einschlafen lassen – prallten die unterschiedlichen Auffassungen erneut aufeinander. Dabei bemühte sich General Dieter, die Positionen des Generalinspekteurs nach besten Kräften zu verteidigen, während ich erneut auf Fehlentwicklungen in der Bundeswehrstruktur hinwies. Meine kritischen Anmerkungen wurden von der überwiegenden Mehrheit der Anwesenden zustimmend aufgenommen. Der Vortrag eines Stabsabteilungsleiters des Führungsstabes der Streitkräfte zum Thema „Transformation“ am zweiten Tag der Tagung wurde in der Aussprache geradezu verrissen. Es musste Generalinspekteur Schneiderhan alarmieren, dass seinen Leuten die Argumente ausgingen. Die Möglichkeit, sich eines lästigen Kritikers entledigen zu können, kam daher gerade recht.
Bis zu meiner Entlassung hatte ich es als eine bewährte Errungenschaft militärischer Führungskultur angesehen, dass man Vorgesetzten - natürlich intern und in einer gebührenden Form - auch widersprechen darf. So hatte ich das mein gesamtes Berufsleben als Untergebener wie als Vorgesetzter gehalten. Wer die berechtigte Forderung nach Loyalität als Kritiklosigkeit und Kadavergehorsam missversteht, beschädigt diese Führungskultur. Der Bundespräsident weist in seiner bemerkenswerten Rede an der Führungsakademie der Bundeswehr am 14. September 2007 darauf hin, dass man von militärischen Führern Klartext nach oben und außen erwarten dürfe. Ich habe leider lernen müssen, dass dies einige in der Spitze der Bundeswehr anders sehen.
Im folgenden schildere ich chronologisch die Vorgänge, die zum Vorwand meiner Versetzung in den Ruhestand genommen wurden. Zur Rolle des Generalinspekteurs Wolfgang Schneiderhan in dieser Angelegenheit verweise ich auch auf die Geschichte "Akteneinsicht" auf der Website General Dieters . Das rechtswidrige Vorgehen des Staatssekretärs Dr. Wichert wird unter den Daten 28.12.2005 ff. dargestellt.
Nach Vorfällen in der Wohngemeinschaft meines Sohnes an der Bundeswehr-Universität in HH beschwert er sich förmlich gegen einen Kameraden wegen Telephonterrors sowie personenbezogener rassistischer und frauenfeindlicher Äußerungen.
Mein Sohn erfährt im Zuge seiner Vernehmung als Zeuge, dass aus dem Kreis seines Kontrahenten Gegenvorwürfe erhoben worden seien.
Mein Sohn bemüht sich mehrfach erfolglos, zu diesen Vorwürfen angehört zu werden.
Der Wehrdisziplinaranwalt des Streitkräfteamtes (WDA/SKA) teilt meinem Sohn schriftlich vier Vorwürfe mit.
Mein Sohn wendet sich wegen Benachteiligung in seiner Beschwerdeangelegenheit mit einer Eingabe an den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Es war angeordnet worden, dass – unabhängig von der Frage, wer Verursacher und wer Opfer war - alle an den Unverträglichkeiten Beteiligten die Wohnebene zu verlassen hätten.
Der Amtschef des Streitkräfteamtes informiert seinen Vorgesetzten, den Inspekteur der Streitkräftebasis Generalleutnant Dieter, über Vorfälle an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Daran sei Leutnant Ruwe, der Sohn des Stellvertreters des Inspekteurs des Heeres, beteiligt. Generalleutnant Dieter führt ein persönliches Gespräch mit dem Amtschef und fordert eine schriftliche Meldung.
General Dieter erhält die geforderte Meldung mit einem Sachstandsvermerk zu den bisherigen Vorermittlungen. Er spricht mit dem Generalinspekteur darüber und stimmt mit ihm das weitere Vorgehen im Hinblick auf eine beabsichtigte Vorlage an die Leitung des BMVg ab. Dabei kündigt General Dieter an, dass er mit mir ein Gespräch führen wolle, damit ich „positiv auf meinen Sohn einwirken könne“. Am selben Tag meldet die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg auf Weisung des Streitkräfteamtes ein Besonderes Vorkommnis: Ein Offizierstudent habe im Dezember 2004 einen Hörsaal mit den Worten „Sieg Heil, Kameraden“ betreten. Obwohl der Beschuldigte darin nicht namentlich genannt ist, wird diese Meldung im Ministerium sofort mit meinem Sohn verknüpft und gelangt am folgenden Tag in dieser Verknüpfung auch in den Führungsstab des Heeres.
Gen Dieter bittet mich zu einem Gespräch, in dem er mir mitteilt, es
liege eine Meldung des SKA mit Vorwürfen gegen meinen Sohn vor. Er
prüfe, ob er angesichts der rechtsextremistischen Vorwürfe und wegen der
verwandtschaftlichen Beziehungen zu mir nicht die Leitung des Hauses
darüber unterrichten müsse.
Ich lege General Dieter dar, dass mir mein Sohn über den gesamten
Vorgang fortlaufend berichtet hat. Vor einigen Wochen seien ihm
schriftlich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe eröffnet worden, die er mir
gegenüber jedoch in überzeugender Weise widerlegt habe. Von einem „Sieg
Heil-Vorwurf“ hörte ich allerdings zum ersten Mal. Meine Frage, ob mein
Sohn davon wisse, kann General Dieter nicht beantworten. Er gehe aber
davon aus; denn sonst hätte man diesen Vorwurf ja nicht ans Ministerium
melden können. Meinen empörten Hinweis, dass mein Sohn trotz mehrfacher
Bemühungen bisher überhaupt nicht zu den Vorwürfen gehört worden ist,
nimmt General Dieter mit Befremden zur Kenntnis.
Ich biete an, wie er es angeregt hatte, mit meinem Sohn zu sprechen. Das
könne bereits an diesem Wochenende geschehen; denn er komme ohnehin an
diesem Freitag zu uns nach Hause. Das Ergebnis des Gesprächs würde ich
General Dieter unmittelbar nach dem Wochenende zukommen lassen. Ich
müsste allerdings schon wissen, was meinem Sohn konkret vorgeworfen
werde; denn über was sonst solle ich mit ihm sprechen. General Dieter
erklärt, diesen Wunsch könne er nachvollziehen; er werde das prüfen. Wir
sähen uns ja bei der Tagung des Deutschen Bundeswehrverbandes
nachmittags in Bad Neuenahr.
Danach informiert General Dieter den Generalinspekteur über den
Gesprächsverlauf sowie über meine Betroffenheit und Irritation über das
Verhalten des WDA/SKA. Er bringt zum Ausdruck, dass er beabsichtige, mir
die Meldung des Streitkräfteamtes zu überlassen, damit ich für das
Gespräch mit meinem Sohn eine Grundlage hätte. Der Generalinspekteur
hält dieses Vorgehen für zweckmäßig und hat keine Einwände.
Am Nachmittag übergibt mir General Dieter zu Beginn der Tagung eine
Kopie der Meldung des Streitkräfteamtes mit seinem handschriftlichen
Zusatz: „Lieber Jürgen, wie besprochen der Zwischenstand zu Deiner
persönlichen Kenntnis.“ Als ich das Papier während der Vorträge
überfliege, stelle ich fest, dass darin die Vorwürfe gegen meinen Sohn,
zu denen er trotz seiner mehrfachen Bemühungen seit Monaten nicht gehört
worden war, als erwiesene Tatsachen dargestellt werden. Zudem weicht der
Sachverhalt in entscheidenden Fragen von dem ab, was mir mein Sohn
berichtet hatte. Die Meldung beinhaltete in jedem Fall grobe Verstöße
gegen die Ermittlungsgrundsätze der Wehrdisziplinarordnung. Während der
Pausen und des Abendessens spreche ich mit mehreren Kameraden über
diesen aus meiner Sicht ungeheuerlichen Vorgang.
Samstagmorgen, also am zweiten Tag der Tagung, informiere ich den eintreffenden Inspekteur des Heeres über die Vorwürfe gegen meinen Sohn. Er kennt ihn zwar nicht näher, hatte mich aber einige Monate zuvor auf einen Artikel meines Sohnes aufmerksam gemacht, der im „Panzerspähtrupp“, der Zeitschrift der Panzeraufklärungstruppe, veröffentlicht worden war.
Am Nachmittag spreche ich mit meinem Sohn und konfrontiere ihn
mit den Vorwürfen gegen ihn, indem ich ihm die Seiten der Meldung, auf
denen diese Vorwürfen aufgelistet sind, zum Lesen gebe. Er stellt sofort
fest, dass die Vorwürfe 1 - 4 in der Formulierung
identisch sind mit denen, über die er bereits durch den WDA förmlich unterrichtet
wurde. Beim Vorwurf Nr. 5
(s. Denkwürdige Erlebnisse, Teil 1, Abs. 8)
konnte ich beim besten Willen kein Dienstvergehen erkennen. Vorwurf Nr. 6
beinhaltet die angebliche „Sieg Heil-Äußerung“ – „vom Hörensagen“. In
der Meldung sind im Hinblick auf meinen Sohn keine Ermittlungsergebnisse
dargestellt, sondern die blanken Vorwürfe – allerdings ohne den Hinweis,
dass es sich um Verdachtsmomente handelt. Die Formulierung im Indikativ
erweckt den Eindruck, dies seien erwiesene Tatsachen.
Mein Sohn erklärt mir erneut und im Detail, in welchem Kontext die
inkriminierten Äußerungen gefallen waren. Er habe mit ihnen nicht die
Nazi-Untaten beschönigt, sondern im Gegenteil deren verbrecherischen
Charakter deutlich gemacht. Der „Sieg Heil-Vorwurf“ sei eine böswillige
Verleumdung. Da die Äußerung im Dezember 2004 beim Betreten eines
Klausurraumes gemacht worden sein solle, sei sie einfach zu überprüfen
und zu widerlegen.
In Kenntnis seiner Persönlichkeit habe ich nicht den geringsten Zweifel an seinen Aussagen. Die Meldung des WDA/SKA war darüber hinaus in mehreren Passagen eindeutig wahrheitswidrig. Ich fasse anschließend meine Erkenntnisse in einer schriftlichen Stellungnahme an General Dieter zusammen. Mein Sohn fragt mich, ob er die Kenntnis der Meldung dem WDA gegenüber erwähnen dürfe. Meine Antwort ist: „Natürlich, der hat sie ja verfasst. Schlag sie ihm um die Ohren, damit er sieht, was er mit diesem fehlerhaften Papier im Ministerium angerichtet hat.“
Bevor ich – auf dem Weg nach Berlin – an diesem Montagmorgen zum
Flughafen aufbreche, fertigt mir meine Vorzimmerdame eine Kopie der mir
überlassenen Unterlagen und meiner Stellungnahme. Die übergebe ich dem
Rechtsberater des Inspekteurs des Heeres, einem erfahrenen
Ministerialrat, mit der Bitte, mich telephonisch zu informieren, wenn
ihm etwas unplausibel oder juristisch schief ausgedrückt erscheine. Noch
vor dem Abflug bekomme ich den Rückruf: „Alles plausibel, können Sie so
machen.“ Am Nachmittag treffe ich General Dieter bei einer
sicherheitspolitischen Tagung und übergebe ihm meine schriftliche
Stellungnahme. General Dieter sagt zu, er werde dafür sorgen, dass die
Ermittlungen endlich zügiger geführt würden.
General Dieter entscheidet nach Rücksprache mit dem Generalinspekteur,
angesichts des ungenügenden Ermittlungsstandes auf eine Leitungsvorlage
zu verzichten.
Mein Sohn wird endlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen vernommen.
Er spricht den WDA auf die fehlerhafte Darstellung in dessen Meldung an
und fragt, wie man eine solche Meldung vorlegen könne, ohne dass der
Betroffene Gelegenheit gehabt habe, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Der
WDA ist offenbar pikiert.
Mein Sohn legt dem WDA dar, dass die ihm vorgeworfenen Äußerungen aus
ihrem Zusammenhang heraus nur bei böswilliger Betrachtung hätten
missverstanden werden können. Er geht – wie ich – davon aus, dass die
Angelegenheit damit erledigt ist.
Bundesminister Dr. Struck wird unterrichtet, General Dieter und ich
hätten vertrauliche Ermittlungsunterlagen an meinen Sohn weitergegeben
und Einfluss auf die disziplinaren Vorermittlungen nehmen wollen. Der
Inhalt der Unterrichtung und die Reaktion des Ministers sind mir nur
gerüchteweise bekannt. Deshalb kann ich mich dazu nicht äußern.
General Dieter und ich wissen nichts von diesem Vorwurf; Kenntnis haben
der Abteilungsleiter Personal, der GenInsp und der Staatssekretär (zu
jener Zeit noch Sts Biederbick).
Der neue Bundesminister der Verteidigung Dr. Franz-Josef Jung tritt sein Amt an. Während des Empfangs im Bendler-Block anlässlich der Amtsübergabe, an dem ich mit meiner Frau teilnehme, freundlicher Small Talk mit dem GenInsp und seiner Frau.
Staatssekretär Biederbick wird verabschiedet, Staatssekretär Dr. Wichert reaktiviert. Während des Empfangs auf der Hardthöhe aus diesem Anlass nutze ich die Gelegenheit, meine Frau und mich beim Minister vorzustellen. Der wirkt dabei merkwürdig spröde. Im Gegensatz zu mir wissen alle drei genannten Herren, dass gegen mich disziplinare Vorermittlungen aufgenommen werden sollen.
Gen Dieter und ich werden wegen der Weitergabe des Vermerks vernommen. Ich stelle den Sachverhalt klar und gehe davon aus, dass damit die Angelegenheit erledigt ist.
Da es kein Vorgesetzter für nötig gehalten hatte, mich über den erhobenen Vorwurf zu unterrichten, protestiere ich schriftlich beim Generalinspekteur wegen des Stils des Umgangs miteinander ( „Weihnachtsbrief“ als pdf). Dieses Schreiben gebe ich nachrichtlich auch an den Adjutanten des Ministers – mit der Bitte, diesen in angemessener Form darüber zu unterrichten. Das Schreiben an den GenInsp blieb ohne jegliche Redaktion.
Noch bevor der schriftliche Zwischenbericht des mit den Vorermittlungen
betrauten Wehrdisziplinaranwalts über die Vernehmungen der Generale
Dieter und Ruwe vorliegt, erstellt das Referat BMVg – PSZ I 7
auf eilige Anforderung des Staatssekretärs Dr. Wichert
die Ministervorlage zur Anwendung des § 50
Soldatengesetz. Sie wird am 28.12.2005 gefertigt und noch am selben Tag
von Dr. Wilmers, dem Leiter der Personalabteilung,
und dem Staatssekretär abgezeichnet. Der Grund für die Eile erschließt
sich zunächst nicht, da sich der Minister bis zum 9. Januar
in Urlaub befindet.
Tatsächlich benötigt Staatssekretär Dr. Wichert
die Vorlage jedoch allem Anschein nach, weil er vorhat, - die Entscheidung
des Ministers antizipierend - unter Verstoß gegen § 9
der Wehrdisziplinarordnung vorab die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses
und den Wehrbeauftragten, Herrn Reinhold Robbe, zu informieren, um so ein fait
accompli zu schaffen. Die WELT berichtete dazu am 31. Januar 2006:
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages,
Ulrike Merten, bestätigte gestern der WELT auf die Frage, ob Wichert mit
ihr bereits im letzten Jahr und somit lange vor den ersten
Pressemeldungen über die Angelegenheit gesprochen habe: "Ja." Es sei
aber Vertraulichkeit vereinbart worden. Und daran habe sie sich auch
gehalten. Die Entlassung von Generälen sei auch Sache der Exekutive und
nicht in erster Linie des Verteidigungsausschusses. (siehe dazu auch
mein späteres
Auskunftsersuchen
an die beiden genannten Institutionen des Deutschen Bundestages)
Dieser Unterrichtung war im übrigen der falsche Sachverhalt unterlegt
worden, ich hätte die Meldung des Wehrdisziplinaranwaltes des
Streitkräfteamtes vom 17.10.2005 meinem Sohn übergeben, der sich
Kameraden gegenüber mit dem Besitz dieser Papiere gebrüstet habe. Der
Unterrichtung war auch die unzutreffende Bewertung unterlegt worden, die
bereits der vorermittelnde Wehrdisziplinaranwalt nicht mehr mitgetragen
hatte, nämlich das Verhalten der beiden Generale besitze strafrechtliche
Relevanz.
In einem fast einstündigen Gespräch, das ich am 6.1.2006 in Vertretung des Inspekteurs des Heeres unter vier Augen mit Sts Dr. Wichert führe, erwähnt er die disziplinare Angelegenheit mit keinem Wort. Ich selbst hatte angesichts des vermeintlich ungleich wichtigeren Themas auch nicht die Absicht, den Staatssekretär mit „Albernheiten“ zu belästigen.
Nach der Rückkehr des Ministers aus dem Urlaub zum Jahreswechsel wird
ihm die Ministervorlage vom 28.12.2005 nicht vorgelegt; denn
Staatssekretär Dr. Wichert hatte „BM“ als Adressaten
durchgestrichen. Vielmehr trägt ihm der Staatssekretär zur Angelegenheit
Dieter/Ruwe mündlich vor. Dabei berichtet er, dass es keine Probleme mit
der Anwendung des § 50 Soldatengesetz geben werde,
denn er habe schon mal vorsorglich die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses
und den Wehrbeauftragten unterrichtet.
Dem Vernehmen nach ist der Minister „not amused“; denn ihm ist klar,
dass er damit kaum noch einen Entscheidungsspielraum hat. Dennoch zögert
er; denn er weiß natürlich, dass dieser Vorgang gleich zu Beginn seiner
Amtszeit in der Bundeswehr nicht gerade Jubelstürme auslösen wird. Mit
dem erneuten Hinweis, das Verhalten der beiden Generale stelle einen
Straftatbestand dar, versucht der Staatssekretär den Minister
festzunageln. Nur diese unzutreffende Behauptung war geeignet, die
Hemmschwelle des Ministers und die politische Schwelle zur Anwendung des
§ 50 Soldatengesetz zu überwinden. (siehe dazu auch
"Plädoyer"
unter Kommentare)
In Berlin höre ich gerüchteweise in einer parlamentarischen Runde, „meine Urkunde werde schon gedruckt“. Als ich erfahre, dass es sich um die Entlassungsurkunde handeln soll, kann ich das nicht glauben. Der Inspekteur des Heeres weiß davon nichts; der Staatssekretär lässt sich verleugnen.
Zurück in Bonn melde ich mich bei Staatssekretär Dr.
Wichert, der mir mitteilt, mein Verhalten werde als schwerwiegendes
Dienstvergehen mit strafrechtlicher Relevanz gewertet. Daher sei dem
Minister, um ein gerichtliches Disziplinarverfahren zu vermeiden, als
Ausweg meine Entlassung nach § 50 Soldatengesetz
vorgeschlagen worden. Dieser werde darüber in der folgenden Woche
entscheiden. Ich lasse keinen Zweifel daran, dass ich diese
Unterstellungen nicht hinnehmen werde.
Am späten Nachmittag ruft Herr Szandar vom Nachrichtenmagazin „Der
Spiegel“ bei einem Referatsleiter im Führungsstab des Heeres an, er habe
Kenntnis davon, dass General Dieter und ich „gekungelt hätten, um meinen
rechtsradikalen Sohn zu decken“, und deshalb entlassen werden sollten.
Ich versuche, den Spiegel-Redakteur von dieser Meldung abzubringen und
stelle ihm den Fall wahrheitsgemäß und in den mir bekannten Einzelheiten
dar. Herr Szandar modifiziert daraufhin zwar seine Meldung in einigen
Punkten, verzichtet aber natürlich nicht auf die Veröffentlichung einer
derart brisanten Nachricht.
Die Meldung erscheint in Spiegel-online. Ich schreibe Minister Dr. Jung den Brief, den ich später, als keinerlei Reaktion darauf erfolgte, veröffentlicht habe. Ich stelle darin den Fall ausführlich dar, betone, dass ich mir keines Unrechts bewusst sei, und bitte darum, dass er mich vor seiner Entscheidung anhört. General Dieter befindet sich mit seiner Ehefrau auf Madeira in Urlaub und erfährt durch einen Kameraden von der Spiegel-Meldung und der Absicht, ihn zu entlassen. Er hält das Ganze für eine Ente und wartet zunächst auf das Dementi. Die späteren Versuche, telefonisch mit dem Generalinspekteur zu sprechen, sind erfolglos.
Ich stelle Staatssekretär Dr. Wichert wegen der Spiegel-Veröffentlichung zur Rede. Solche Informationen an die Medien zu geben, - nicht mein Verhalten - sei eine Straftat. Der mögliche Täterkreis umfasse nach meiner Beurteilung nur drei Personen: Staatssekretär, GenInsp oder Abteilungsleiter PSZ. Der Staatssekretär erwähnt auch bei dieser Gelegenheit mit keinem Wort, dass er bereits die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses unterrichtet hatte.
Die von BM Dr. Jung abgezeichnete Entlassungsurkunde ist auf dem Weg zum Bundespräsidenten, ohne dass mir das erbetene Gespräch gewährt worden ist. Aus Sorge darüber, ich könne dem Minister in einem solchen Gespräch die wahren Hintergründe des Zurruhesetzungsvorschlags vermitteln, hatte man ihn zu höchster Eile gedrängt. Ich weise den Minister in einem zweiten Schreiben auf die Prangersituation für meine gesamte Familie durch den Spiegel-Artikel hin und bitte um eine Ehrenerklärung. Anderenfalls würde ich selbst an die Öffentlichkeit gehen. General Dieter führt morgens aus seinem Urlaubsort ein kurzes Telephonat mit Sts Dr. Wichert, der – nach inzwischen bekannter Aktenlage wahrheitswidrig - zum Ausdruck bringt, es sei noch nichts entschieden.
Als auch mein zweites Schreiben an den Minister ohne Reaktion bleibt,
wende ich mich schriftlich an die Abgeordneten des
Verteidigungsausschusses, an meine Generalskameraden und die Medien.
Abends treffe ich bei einer parlamentarischen Veranstaltung in Berlin
eine große Zahl von Abgeordneten. Nahezu alle erklären mir ihre
uneingeschränkte Solidarität. Tun könnten sie aber zu ihrem großem
Bedauern nichts für mich; denn die Fraktions- bzw. die
Koalitionsdisziplin erlaube es natürlich nicht, einen Minister der
eigenen Regierung zu desavouieren.
Unfreundlich werde ich nur vom MdB Rainer Arnold, dem
verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, auf die
vermeintliche „Kungelei“ angegangen. Dabei benutzt er Formulierungen
(„schlimme Sache mit ihrem Sohn, der sich da in Hamburg mit dem Besitz
der Papiere brüstet“), die identisch mit der ursprünglichen
Spiegel-Meldung waren, bevor sie Herr Szandar nach dem Gespräch mit mir
korrigierte.
Im Verlauf unseres Wortwechsels fragt mich der Abgeordnete, wieso ich
der Meinung sei, die Indiskretion an den Spiegel könne nur von ganz
wenigen Personen ausgegangen sein. Ich selbst verdächtigte ja offenbar
den Generalinspekteur. Dabei hätten doch er selbst und andere
Abgeordnete bereits seit längerem von diesem Fall gewusst. Es habe einen
großen Kreis von Wissenden gegeben.
„Das ist ja interessant“, dachte ich, „während General
Dieter und ich von unserem Geschick nichts ahnen, weiß – unter Verstoß
gegen
§ 9 der Wehrdisziplinarordnung - das halbe Parlament von
der Angelegenheit. So stelle ich mir Innere Führung vor.“
Der Bundespräsident – offenbar irritiert durch die Medienberichterstattung – lässt sich vor seiner Entscheidung vom Bundesminister der Verteidigung in einem persönlichen Gespräch vortragen. Der wiederholt die in der schriftlichen Vorlage vorgebrachten Gründe. Der Bundespräsident unterzeichnet die Urkunde.
Morgens fliege ich gemeinsam mit General Dieter, der am Vortag aus dem
Urlaub gekommen ist, nach Berlin. Um 16.00 Uhr melde ich mich beim
Minister, der mir im Beisein von Staatssekretär Dr. Wichert
und des Generalinspekteurs die Entlassungsurkunde aushändigt. Im
Anschluss daran gewährt mir der Minister auf meine Bitte im gleichen
Kreis ein kurzes Gespräch, in dem ich ihn darauf hinweise, dass ich
nicht eher ruhen würde, bis General Dieter und ich rehabilitiert und die
für diese Angelegenheit Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden
seien.
General Dieter erhält seine Urkunde um 16.30 Uhr. Er lehnt das
angebotene Gespräch ab, da der Minister mit ihm in der Sache vor
Aushändigung der Urkunde nicht gesprochen habe.
Die Chronologie der Ereignisse aus der Sicht GenLt a.D. Dieters finden Sie auf dessen Website .