Das Antragsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht
Gegen die Einstellung des von mir selbst beantragten Disziplinarverfahrens durch den Bundesminister der Verteidigung gibt es leider keine rechtlichen Möglichkeiten. Lediglich die Feststellung eines Dienstvergehens in der Einstellungsverfügung konnte beim 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts angefochten werden. Dies geschah mit Antrag vom 30. Mai 2006. Über Monate hinweg folgten daraufhin Stellungnahmen und Gegenstellungnahmen.
Im Februar 2007 war mein Anwalt schließlich des Geplänkels überdrüssig geworden und hatte vorgeschlagen, zur Straffung des Verfahrens nunmehr eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Wenn dies absehbar sei, werde man zunächst nicht weiter schriftsätzlich vortragen. Der zuständige Berichterstatter des Wehrdienstsenats teilte daraufhin mit, dass der Senat beabsichtige, im März darüber zu entscheiden, ob eine mündliche Verhandlung anberaumt werde. Deshalb unterblieb u.a. eine Gegenstellungnahme zu einer unwahren Darstellung des BMVg zur Zuständigkeit der Teilstreitkräfte in Personalangelegenheiten (siehe unten). Ohne irgendeinen Hinweis des Senats, dass er auf eine mündliche Verhandlung verzichten wolle, fasste er am 4. April 2007 den Beschluss in der Sache. Mein Antrag, festzustellen, ich hätte kein Dienstvergehen begangen, wurde zurückgewiesen. Dieses Ergebnis war für mich umso überraschender, als zumindest der Berichterstatter in dem parallelen Verfahren General Dieters vorher durchaus die richtigen Fragen an das BMVg gestellt hatte.
Dennoch zunächst das Positive: Der Wehrdienstsenat folgte in der Sachverhaltsfeststellung ohne Vorbehalt meinen Ausführungen. Er habe keinen Anlass, an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Insofern schließt er sich nicht dem Vorwurf des Bundesministers der Verteidigung an, der anfangs unterstellt hatte, ich hätte meinem Sohn den Vermerk des WDA/SKA überlassen. Als dies nicht mehr zu halten war, hatte er behauptet, ich hätte ihn meinem Sohn zumindest vollständig zum Lesen überlassen. Erstaunlicherweise geht der Wehrdienstsenat auf diesen - vom BMVg als schwerwiegend betrachteten - Unterschied nicht weiter ein. Er sieht allerdings bereits in der Unterrichtung meines Sohnes über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit und konstatiert ein Dienstvergehen, ohne dieses in seiner Gewichtung zu qualifizieren.
Unabhängig davon, dass ich die Feststellung eines Dienstvergehens juristisch nicht nachvollziehen kann - ich komme darauf zurück -, unterläuft der Wehrdienstsenat mein Rechtsschutzbegehren. Mein Antrag, festzustellen, ich hätte kein Dienstvergehen begangen, war ja nicht abstrakter Natur. Er bezog sich vielmehr auf das mir vom Bundesminister der Verteidigung vorgeworfene schwerwiegende Dienstvergehen, das nach seiner Auffassung eigentlich mit einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme zu ahnden gewesen wäre. Dieses Dienstvergehen war offensichtlich ein anderes als das vom Wehrdienstsenat festgestellte. Dennoch geht der Wehrdienstsenat unverständlicherweise darauf explizit nicht ein. (Dienstvergehen ist schließlich nicht Dienstvergehen. Einen Pflichtenverstoß begehe ich auch, wenn ich z.B. unpünktlich zum Dienst erscheine.) Dass die Feststellungen des Bundesministers der Verteidigung in seiner Einstellungsverfügung unzutreffend sind, ergibt sich lediglich aus der Gegenüberstellung der jeweiligen Formulierungen. Angesichts der Bedeutung der Angelegenheit für die Betroffenen empfinde ich dies als grob unbillig.
Ähnliches gilt für die Entscheidung des Senats, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung und ohne militärische Beisitzer zu führen. Es ist für mich unvorstellbar, dass militärische Beisitzer im Generalsrang, davon einer als Vier-Sterne-General, die Ausführungen des BMVg zu den Zuständigkeiten in Personalangelegenheiten unwidersprochen hingenommen hätten. Sie hätten vermutlich dem Gericht darüber hinaus bestätigen können, dass ich selbst in diesen Fragen eine weitaus größere Erfahrung habe als der Referatsleiter der Personalabteilung, der das Haus gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht vertreten hat.
Zu diesem Aspekt hatte ich nämlich den Wehrdienstsenat darauf hingewiesen,
dass es keine Personalangelegenheiten von Heeressoldaten gibt, die vor dem
Inspekteur des Heeres oder seinem Stellvertreter geheim zu halten wären.
Anderenfalls wäre ich außerstande, die mir gemäß meiner Dienstanweisung
obliegenden Aufgaben im Bereich des Personalwesens kompetent wahrzunehmen.
Denn auch Heeresoffiziere, die dauerhaft oder vorübergehend in der
Streitkräftebasis Dienst leisten, unterliegen weiterhin der generellen
Personalobhut des Inspekteurs. Es gab also keinen rechtlichen Hinderungsgrund
für den Inspekteur der Streitkräftebasis, mir die fraglichen Unterlagen zu
überlassen. Wie ich damit umzugehen hatte, ist davon unabhängig zu betrachten.
In ihrer Stellungnahme dazu hatte die Personalabteilung des BMVg das BVerwG
vorsätzlich falsch unterrichtet. Dieser unwahren Darstellung konnte ich
aufgrund des oben beschriebenen Verhaltens des Wehrdienstsenats nicht mehr
entgegentreten.
Im Nachhinein habe ich dazu eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Minister
eingelegt, in der ich die falschen Behauptungen dezidiert widerlegt habe. Die
Antwort auf den schwerwiegenden Vorwurf, ein Oberstes Bundesgericht
vorsätzlich getäuscht zu haben, war: „Ihr Vorbringen wurde überprüft.
Es gibt keinen Anlass für Beanstandungen." Angesichts dieser peinlichen
Reaktion des Ministeriums, die für sich selbst spricht, habe ich mich erneut
- wenngleich mit begrenzten Erwartungen - an den Minister gewandt. Den
Schriftverkehr dazu finden Sie
hier
.
Im übrigen ist - wie ich in meiner Vf-Beschwerde vom 23. Mai 2007 ausführlich dargelegt habe, die Bewertung und Würdigung des Sachverhalts durch den Wehrdienstsenat, auf die sich die Feststellung des Dienstvergehens stützt, unvertretbar und rechtswidrig.
Sie berücksichtigt nicht, dass Generalleutnant Dieter, als er mich als Vater aufgeforderte, „im Sinne der Sache“ ein Gespräch mit meinem Sohn zu führen (übrigens in Kenntnis des Amtschefs des Streitkräfteamtes als Einleitungsbehörde sowie des Generalinspekteurs der Bundeswehr), als ein zuständiger Amtsträger handelte, Die Befugnis, über die Klassifizierung dieses Vorgangs zu entscheiden, lag in seinem dienstlichen Ermessen, nicht in dem des WDA/SKA. Derjenige, der die erste Klassifizierung vorgenommen hat, verliert mit der Weitergabe an eine andere zuständige Stelle die Verfügungsmacht. Das Dienstgeheimnis wird deren Geheimnis; sie kann darüber nach eigenem Ermessen verfügen. Dies gilt erst recht dann, wenn es sich bei dem Adressaten - wie in diesem Fall - um die vorgesetzte Dienststelle handelt.
Es war ihm nicht nur möglich, sondern auch zweckmäßig und sogar geboten, mich zu informieren, weil ich selbst Gegenstand der beabsichtigten Meldung an die Leitung des BMVg gewesen wäre. Damit wäre ein mich betreffender Personalvorgang entstanden, der selbstverständlich nicht hinter meinem Rücken stattfinden durfte, zumal dafür kein Anlass bestand. Dies wäre ein Verstoß gegen die Pflicht zur Kameradschaft, aber auch gegen Grundsätze eines fairen Verfahrens gewesen.
Im übrigen waren seit dem angeblich inkriminierten Verhalten meines Sohnes bereits viele Monate verstrichen, ohne dass die Ermittlungen vorangebracht worden waren. Mein Sohn war auch nicht dazu vernommen worden (die erste Vernehmung erfolgte erst später, nämlich am 15. November 2005). Zudem war die Sache wegen der mit einem breiten Verteiler in den Geschäftsgang gegebenen Meldung eines sogenannten Besonderen Vorkommnisses zu der angeblichen „Sieg Heil, Kameraden“-Äußerung und im Hinblick auf die angedachte Leitungsvorlage außerordentlich eilbedürftig.
Angesichts dieser Zusammenhänge hatte ich keinerlei Zweifel an der Kompetenz des Leiters der höheren Einleitungsbehörde, mich einzuschalten.
Aus meiner Sicht gab es nach meiner Einschaltung durch die höhere Einleitungsbehörde auch keinen Grund, an meiner eigenen Kompetenz zu zweifeln, die Sache offen mit dem Betroffenen, nämlich meinem Sohn, zu erörtern.
Die Wehrdisziplinarordnung sieht in §§ 92, 97 vor, dass der Soldat so früh wie möglich zu hören ist; das schließt seine Unterrichtung über den Stand der Dinge ein, wenn die Ermittlungen dadurch nicht ausnahmsweise und begründeterweise gefährdet würden. Aus dem Vermerk vom 17. Oktober 2005 ging aber nicht der Stand der Dinge, sondern lediglich der Vorwurf gegen meinen Sohn hervor. Weder aus dem Vermerk noch aus anderen Teilen des Geschehens ergab sich ein erkennbarer Grund, dass das Verfahren gefährdet würde, wenn mein Sohn vom Inhalt des Vermerks erführe. Das öffentliche Interesse an einer Geheimhaltung kann nicht lediglich mit dem pauschalen Verweis auf die gebotene vertrauliche Behandlung von Personal- und Disziplinarsachen begründet werden. Diese Vertraulichkeit dient schließlich dem Schutz des Betroffenen, aber doch nicht vor sich selbst!
Der Senat hat verkannt, dass eine Schweigepflicht dem Betroffenen gegenüber nicht besteht. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn das Gericht bei einer Information des Betroffenen über den ihn betreffenden Personalvorgang von einer „Übermittlung“ spricht, macht es deutlich, dass ihm Wortbedeutung und Systematik des Rechts der informationellen Selbstbestimmung unbekannt sind: Übermittlung ist die Bekanntgabe an einen Dritten, also gerade nicht an den Betroffenen. Würde man die Übermittlungsregeln auf eine Information des Betroffenen über „seine“ Daten anwenden, wäre dies eine wirkliche Perversion des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Das scheint dem 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts nicht klar geworden zu sein.
Im übrigen finde ich es schon erstaunlich, dass der Senat keinen Anstoß daran genommen hat, dass der WDA/SKA seinen Aktenvermerk mit der Kennzeichnung „NICHT FÜR DIE AKTEN“ versehen hat, die mir überhaupt nichts sagte, weil ich sie vorher noch nie gesehen hatte. Sie ist unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens und mit Blick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein Skandal. Der Vermerk ist mit seiner Entstehung, erst recht aber mit der Vorlage an das Ministerium, unablöslicher Teil des Disziplinarvorgangs. Geheimakten, die vor dem Soldaten verborgen bleiben dürften, sieht das Gesetz in Deutschland nur im Bereich der Geheimdienste, nicht aber bei einfachen Personalvorgängen innerhalb der Bundeswehr vor. Das scheint aber vom 2. Wehrdienstsenat nicht erkannt worden zu sein.
Völlig unverständlich ist für mich die Feststellung des Senats, ich hätte bei meinem Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht vorsätzlich gehandelt. Wenn ich es nicht selbst gewusst hätte, dass ich meinen Sohn nicht über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informieren durfte, hätte ich mich kundig machen müssen, meint der Senat. Ich frage mich, bei wem ich mich an jenem Wochenende im Oktober 2005 hätte kundig machen sollen? Offenkundig hielten weder der Generalinspekteur der Bundeswehr (von Generalleutnant Dieter informiert) noch der Rechtsberater des Inspekteurs des Heeres (von mir unmittelbar nach jenem Wochenende informiert) mein Verhalten für ein Dienstvergehen. Mit mehreren Kameraden habe ich völlig offen bei der Tagung des Bundeswehrverbandes über diese Angelegenheit gesprochen. Meinem Sohn habe ich empfohlen, den WDA/SKA offen auf seinen in wesentlichen Aspekten unwahren Vermerk anzusprechen. Wenn ich geglaubt hätte, gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit zu verstoßen, oder wenn ich das Verfahren hätte beeinflussen wollen, hätte ich mich wahrlich anders verhalten.
Auch die später von mir eingeschalteten Juristen sind der festen Überzeugung, dass mein Verhalten korrekt war. Selbst die von mir eingeräumte Nachlässigkeit, einige Strichaufzählungen (ohne Namensnennung) zu einem anderen Soldaten in dem Vermerk nicht geschwärzt zu haben, die ich bei meiner Vernehmung als einen geringfügigen formalen Verstoß betrachtet hatte, wird von meinem Anwalt, einem ausgewiesenen Experten im Datenschutzrecht, als unbedenklich bewertet. Daten, die im unmittelbaren Kontext mit den Daten des Betroffenen verwendet werden, stehen auch diesem zu. Das war mir damals nicht geläufig. Ich habe mich also meinem Sohn gegenüber sogar deutlich restriktiver verhalten, als dies rechtlich geboten gewesen wäre.
Um abschließend noch einmal darzustellen, was mir konkret vorgeworfen wird:
Der „Verstoß gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit“ bestand nach Auffassung
des 2. Wehrdienstsenats darin, meinen Sohn mit zwei
für ihn neuen Vorwürfen konfrontiert zu haben. Die hatte das Streitkräfteamt
an das Ministerium gemeldet, obwohl er dazu widerrechtlich nicht angehört
worden war, nämlich
1. den falschen Vorwurf der „Sieg Heil, Kameraden“-Äußerung, der im Mai 2007
fallengelassen wurde, sowie
2. eine inhaltlich zwar im wesentlichen zutreffende Äußerung, in der ich aber ein
Dienstvergehen nicht zu erkennen vermag. Er hatte nämlich in einer Vorlesung den
Motivationsfaktor „Begeisterung“ kritisch hinterfragt (weil die auch zur Verblendung führen
könne) und dafür als Beispiel die SA angeführt - nicht
ohne auf deren verbrecherischen Charakter hinzuweisen.
Ich hoffe, die rechtlichen Gesichtspunkte dieses Falles trotz des Bemühens um Kürze einigermaßen nachvollziehbar dargestellt zu haben. Selbst wenn jemand diesen Vorgang dennoch rechtlich anders bewerten sollte, bitte ich den Betreffenden, sich in einem kleinen Gedankenexperiment einmal an meine Stelle zu versetzen und sich zu fragen, wie er selbst sich in dieser Situation verhalten hätte. Das hatte ich im übrigen vor meiner Entlassung auch schon Sts Dr. Wichert und Minister Dr. Jung vorgeschlagen.